Donnerstag, 12. April 2012

Denken verunsichert

Die Welt wird immer vernetzter, sie wird kleiner und damit komplexer, wir werden überschüttet von Informationen über immer noch neuere Erkenntnisse und Theorien, noch grössere Entwicklungen, noch bedeutendere Ereignisse, und wir sind laufend konfrontiert mit Problemen, die wir weder beeinflussen noch lösen können, mit denen wir nichts zu tun haben und die unser Leben doch beeinflussen. Die Versuchung ist gross, sich dem einfach nicht mehr auszusetzen, entweder indem wir uns entziehen, uns permanent beschäftigen, uns vom Leistungsdruck vereinnahmen lassen, uns nie der Stille aussetzen, uns von der omnipräsenten Unterhaltungsindustrie ablenken lassen oder durch einfache Erklärungen verführen lassen. Es gibt die Heilsverkünder überall, in der Politik, in der Religion, in abstrusen esoterischen Theorien, aber auch in der Wissenschaft, von der viele glauben, sie liefere die einzige verlässliche Antwort. 

Es gibt keine verlässliche Antwort. Jede Antwort ist nur so lange gültig, bis sie wieder hinterfragt wird. Das ist Denken. Fragen und hinterfragen. Denken schliesst alles ein, lässt alles offen, kommt nie an ein Ende, lässt keinen endgültigen Schluss zu. Denken ist wie das Universum, ohne Anfang und ohne Ende. Jeder Mensch hat sein eigenes gedankliche Universum, worin er sich zuweilen auch verlieren kann. Denken ist anstrengend, macht einen einsam. Denken verunsichert. Immer. Kein Wunder, das viele Menschen lieber glauben als denken.

2 Kommentare:

  1. Wie verlässlich ist, was wir uns ausdenken? Die meisten denken, dass eine Brücke sicherer ist als die Diagnose ihres Hausarztes, die nur in einfachen Fällen so sicher ist wie das Amen in der Kirche. Die einfachen Fälle sind mechanische, wie ein Beinbruch. Wissenschaft als der systematische Versuch zu denken führt zu einigermassen verlässlichen Resultaten und auch Produkten die das Leben erleichtern, wie Bohrer für den Zahnarzt, die praktisch nicht schmerzen, oder wie Katzentüren, die nur unsere Katze hereinlassen.

    Leider ermöglichen Wissenschaft und Technik aber auch den Bau von Atombomben und -Kraftwerken, aus meiner Sicht nicht erwünschte Dinge. Unerwünscht ist auch, dass der Mensch durch Naturwissenschaft und Technik zu einer global wirkenden geophysikalischen Kraft geworden ist, indem er das Klima unseres Planeten verändert, mit Folgen, die man sich nicht ausdenken kann. Aber er kann oder will das nicht einsehen.

    Also macht Denken und Wissenschaft nicht den Menschen aus, schon gar nicht im gesellschaftlichen Verband. So baut man heute wieder Trams in den Städten, wo man sie vor 50 Jahren gegen besseres Wissen herausgerissen hat. Schon damals war nach einigem Nachdenken klar, dass man unsere Städte nicht für das Auto einrichten kann. Hoffentlich lassen sich andere Fehlentwicklungen auch so leicht korrigieren.

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  2. Du hast natürlich Recht, die Wissenschaft liefert verlässliche Antworten, aber eben nicht im philosophischen Sinn. Das war eigentlich der Gedanke. Aber ich hätte mich genauer ausdrücken sollen - wenn ich die Philosophie wissenschaftliche studiert hätte, wäre mir das wahrscheinlich gelungen. Nur dass mich dann niemand mehr verstanden hätte.

    Das Motiv hinter dieser Gedankennotiz ist die Tatsache, dass sich viele Menschen durch irgendwelche Versprechungen verführen lassen, sei es durch die Religion, durch Politiker oder esoterische Wunschträume oder was auch immer. Sie glauben lieber an ein Heil, das ihnen versprochen wird, als sich dem Denken auszusetzen, das eben immer wieder in Frage stellt und keine endgültige Sicherheit bietet. Die Frage, wer wir sind, woher wir kommen, wie lange es uns schon gibt, wie lange es schätzungsweise diese Erde gibt usw. - darüber liefert die Wissenschaft durchaus verlässliche Antworten. Aber nicht über die Frage, warum es uns überhaupt gibt, und was und denn ausmacht. Warum können wir denken, was ist Denken usw. Es würde zu weit führen, an dieser Stelle einen philosophischen Diskurs zu wagen. Aber ich hoffe, ich konnte mich jetzt besser ausdrücken, wie es gemeint war.

    Ich bin sogar sehr der Meinung, dass wir uns lieber auf die Wissenschaft verlassen sollten, statt auf Heilsversprechen zu vertrauen. Dazu zähle ich auch die Religion. Auch wenn mir klar ist, dass die Religion als moralische Instanz ihre Berechtigung hat. Mir wäre trotzdem lieber, die Menschen würden sich weltweit auf eine Ethik ohne Religion einigen, die das Leben aller Menschen, die das Leben überhaupt in seiner Ganzheit respektiert und schützt. Die Religionen, oder besser deren Machtapparate, taugen dazu nicht gerade viel. Im Gegenteil. Sie waren und sind immer noch die Ursache für Blutvergiessen, Unfreiheit und Intoleranz. Weltweit.

    In den Leserbriefspalten zu einem Artikel über die (symbolisch gemeinte) Auferstehung von Jesus hagelt es Beiträge, warum die Auferstehung "bewiesen" sei, angeführt werden Leichentücher mit Blut, die von Jesus stammen sollen usw. In allen Religionen gibt es diese sogenannten "Beweise". Und die Menschen glauben sie, weil sie sie glauben wollen. Würden sie darüber nachdenken, ob die Herkunft zweifelsfrei bewiesen, wahrscheinlich oder nur möglich ist, müssten sie zugeben, dass es keine DNA von Jesus gibt und dass die biblische Geschichte 300 (!) Jahre lang nur als Legende weitererzählt worden ist. Wären sie bei diesem Denken mutig genug, kämen sie zum Schluss, dass womöglich jede Religion bloss aus der - ganz oben erwähnten - Frage entstanden ist, woher wir kommen und wohin wir gehen. Die Versuchung ist gross und irgendwie ja auch verständlich, sich dabei ein "Reicht Gottes" auszudenken, ob es nun mit 72 Jungfrauen besetzt ist oder ob es dort die Himmelsspeise Manna gibt, spielt dabei keine Rolle.

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