Donnerstag, 19. Dezember 2013

Alles wäre möglich, so man wollte…

Die Behauptung stammt nicht von mir. Gehört habe ich sie im Kino, in "Master of the Universe", einem Lehrstück über das Funktionieren der Finanzwelt. Der Film ist ein anderhalbstündiger Monolog eines Ex-Bankers, gesprochen in den gespenstisch leeer stehenden Räumen einer ehemaligen Bank, welche bis vor sechs Jahren in einem dieser protzigen Türme untergebracht war, die das Frankfurter Bankenzentrum bilden. Der Insider spricht über "das System", dessen Teil und Profiteur er war, und dessen Eigendynamik offenbar nicht zu durchbrechen ist. Wer nicht spurt, wird ausgespuckt. Der Banker erzählt bloss, das heisst, er sagt nur, wie es ist. Dies zwar schonungslos, aber ohne zu moralisieren. Umso eindrücklicher bleibt das Gesagte haften. Und umso erschütternder wirkt es. Zurzeit läuft der Film im Kino (in Zürich im Movie 1), aber er dürfte es nicht lange schaffen. Wer hört sich schon gern an, wie ohnmächtig wir sind angesichts eines Systems, das uns längst entglitten ist.

Der Banker sagt so manches, wozu man nur mit dem Kopf nicken kann. Zum Beispiel, dass man das System ändern könnte, wenn man nur wollte. Aber niemand - der könnte - will. Auch wundert er sich unter anderem darüber, wie problemlos die Staaten mehrere Milliarden locker machen können, fast von einem Tag auf den andern, wenn es darum geht, Banken zu retten, während jahrelang um (im Vergleich dazu) "läppische" 100 Millionen für die Kultur gestritten wird. Anstelle des Begriffs "Kultur" könnte man hier auch "Soziales" setzen.

Das Beispiel ist symptomatisch für unsere Zeit. Wir degenerieren  langsam zum Homo oeconomicus, der nur noch in Zahlen denkt (denken kann), resp. nur noch den (persönlichen) Gewinn anstrebt. Wobei der Gewinn an sich selbstverständlich nichts Unmoralisches ist, genauso wenig wie der wirtschaftliche Erfolg, der allen zugute kommt. Mit Betonung auf den Nachsatz. Aber seit die Finanzwirtschaft sozusagen das Primat von der Politik übernommen hat (Goldman Sachs lässt grüssen), haben sich die Verhältnisse praktisch umgedreht. Es geht nicht mehr um das Wohl einer Gesellschaft, sondern nur noch um das Wohl derjenigen, die skrupellos genug sind, auf Kosten der Gemeinschaft zu profitieren.

Heute lese ich im TA über ein Buch, das Hans Widmer, der ehemalige Oerlikon-Bührle-Sanierer über eine menschengerechte Gesellschaft geschrieben hat. Unter dem Titel "Modell des konsequenten Humanismus", entwickelt er offenbar eine Theorie für eine humane Gesellschaft, wofür er neben Philosophie und Religion auch die Kultur, die Gentechnik und vor allem die Physik als Grundlage nimmt (2013, Rüffer und Rub).  Im Interview im TA sagt er u.a., es brauche Verwaltungsräte, die sich selber konstituieren, keinerlei Gewinnbeteiligung haben, sondern als unabhängige Instanz von senkrechten Männern und Frauen (gibt es das noch??) die Aufsicht über das Treiben des Managements ausüben. Klingt logisch. Ich zweifle nicht an der Machbarkeit. Aber am Willen zur Umsetzung.

Während der Trauerfeierlichkeiten zum Tod von Mandela überschlugen sich die Redner wieder mal mit Ehrbezeugungen für einen Mann, der nicht nur mit Intelligenz, Durchhaltewillen und Pragmatismus, sondern vor allem auch mit viel Herz, Empathie und Versöhnungswillen sein Volk aus der Versklavung befreit hat. Würden sich die Verantwortlichen dieser Welt diese charismatische Persönlichkeit tatsächlich zm Vorbild nehmen, dann könnte so mancher Schritt getan werden, der heute noch unmöglich scheint. Und man könnte – müsste – so manches Ruder herumreissen, bevor es zu spät ist. Aber eben: Bescheidenheit ist eine Zier, gut leben tut sich's ohne ihr.
Eigentlich wollte ich nur über den Film berichten. Nun ist es wieder mal mit mir durchgegangen. Wenn ich wenigstens etwas Positives zu schreiben gehabt hätte. Schliesslich ist Weihnachtzeit, da fühlt man sich ja schon fast verpflichtet, nett zu sein und ein bisschen rosafarbene Hoffnung zu verbreiten (wobei Bischof Huonder die Farbe Rosa vermutlich als Genderismus ins ewige Fegefeuer verdammen würde. Er bevorzugt karminrote Schleppen…). Da fällt mir ein: Ein kleiner, wenn auch nicht rosafarbener, so doch schwarz-roter Hoffnungsschimmer kommt aus Deutschland, wo sich CDU und SP zwar nicht gerade überschwänglich, so doch pragmatisch gesittet - und dies ganz ohne Kavallerie - mit der Angela ins gemeinsame Bett gelegt haben. Also, wenn der Pragmatismus die Ideologie besiegt, besteht tatsächlich Anlass zur Hoffnung, und die Welt ist noch nicht ganz verloren. Halleluja!


Sonntag, 27. Oktober 2013

Biennale: Kunst oder bloss Kunstevent?

Am Canale Grande herrscht ein Verkehr wie zu Stosszeiten am Bellevue. Die Vaporetti fahren im Minutentakt, dazwischen tummeln sich die Wassertaxis, Gondeln, Polizeiboote, Transportboote, privaten Motorboote und kleinen Ruderboote. Die Vaporetti sind gestossen voll, Touristen und Italiener teilen sich geduldig den viel zu knapp bemessenen Platz.

Nach den vollgestopften Gassen nahe des San Marco sind die Giardini eine Wohltat. Dorthin verirren sich offenbar nur noch die Kunstinteressierten, es ist weniger gedrängt und sehr angenehm unter den alten Bäumen. Vielleicht habe ich auch nur Glück und den richtigen Zeitpunkt getroffen.

Gibt es hier die Antwort auf meine Frage: Was ist Kunst? Ist die Biennale von Venedig der richtige Ort, um es herauszufinden?

Im Vorfeld lese ich ein paar einschlägige Artikel. Sie widersprechen sich. Einer übertrifft sich mit sarkastischen Bosheiten über das reiche und versnobte Publikum, das in Yachten anreist und Partys feiert, ein Anderer freut sich, dass die kauffreudigen Kunstsammler dieses Jahr den Platz den weniger Begüterten, aber wahrhaft Kunstinteressierten überlassen mussten. Einer hat sich fast nur gelangweilt, ein Anderer sieht in der diesjährigen Biennale eine mögliche Revolution zugunsten der wahren Kunst. Und weil einer schreibt, man solle sich nicht um das «Kuratorengeschwafel» scheren, leiste ich mir die Freiheit, mich nicht um das «Kritikergeschwafel» zu scheren und mir mein Urteil selber zu bilden.

Die Länderpavillons haben einen schlechten Ruf, aber sie sind der leichteste Einstieg. Über Valentin Carrons Schlange wurde viel geschrieben. Nur Gescheites natürlich. Trotzdem lässt mich seine Kunst in der kühl-sachlichen Architektur des Schweizer Pavillons ratlos zurück. «Leblos» fällt mir dazu nur ein.

Ich hatte mir vorgenommen, nichts auszulassen, obwohl mir immer deutlicher klar wird, dass drei Tage dazu niemals ausreichen. Also scheide ich schon mal diejenigen aus, vor denen sich Schlangen bilden. Darunter der Pavillon der USA. Ein Blick durchs Fenster genügt mir, um zu wissen, dass Sarah Sze’s Kunst mich nicht sonderlich anspricht. Jedenfalls nicht das, was ich sehe. Zu wild, zu sehr ein Durcheinander.

Im russischen Pavillon stelle ich fest, dass mir auch die bedeutungsschwangere Kunst, die mir mit dem Holzhammer beibringen will, wie es um unsere Welt steht, eher auf den Geist geht, während das deutsche Ehepaar neben mir grossen Gefallen daran findet und sich im Übrigen beklagt, dass dieses Jahr zu wenig Sozialkritisches gezeigt werde. Im Laufe der zwei Tage gibt es aber dann doch noch ein paar Beispiele politischer Kunst, welche mich im Innersten treffen.

Gespannt bin ich auf einen der Wichtigen der diesjährigen Biennale, auf Ai Wei Wei, zu sehen im französischen Pavillon. Die aufgehängten, den ganzen Raum füllenden antiken Hocker Ai Wei Weis erinnern mich an eine DNS, die farbigen Plastikhocker dazwischen könnten als Krankheitskeime der Zukunft gedacht sein. Aber das ist nur meine ziemlich naive Interpretation angesichts einer Installation, die mich nicht sonderlich berührt.

Im venezianischen Pavillon erschliesst sich mir wenigstens ansatzweise das Thema der diesjährigen Biennale: Im ersten Raum alte venezianische Stoffkunst, im folgenden dekorative Stoffkunst der Gegenwart. «Il Palazzo enciclopedico» – Museum des Weltwissens – heisst denn auch das Werk, das der Biennale 2013 den Namen geliehen hat. Das Werk ist von Marino Auriti (1891 bis 1980), einem Autodidakten, der nie berühmt geworden ist.

Besinnung auf Vergangenes, wahrscheinlich auch Besinnung auf Wahrhaftiges, scheint das Anliegen des diesjährigen Biennale-Kurators Massimiliano Gioni zu sein, den nach eigenen Aussagen vor allem interessiert, was er nicht enträtseln kann. Von den rund 160 Künstlern sind mehr als ein Viertel bereits gestorben. Und so findet man denn auch wenige Künstlerinnen oder Künstler, die gerade besonders in Mode sind.

Zu meinen Favoriten gehört im italienischen Pavillon die gut zwei Meter hohe, leicht schräg gestellte Metallplatte, auf die ein steter Wassertropfen fällt. Man steht im Dunkeln davor und hört den monotonen, metallischen Klang des Tropfens, eine von der Decke hängende Glühbirne beleuchtet die Stelle, wo der Tropfen auftrifft, und man ahnt, wie der nach unten wachsende, ovale Korrosionsfleck mit der Zeit immer grösser wird, wie sich das   weiche Wasser unaufhaltsam ins harte Material frisst, es dabei verändert, dessen Farbe, dessen Konsistenz, und es schliesslich zerstört. (Ja, klar, nichts Neues, steter Tropfen höhlt den Stein, oder der Zahn der Zeit, Redensarten mit all ihren möglichen nachvollziehbaren Interpretationen. Enträtselbar. Aber genial umgesetzt.)

Ich lasse mich treiben und bleibe hängen, wo mich etwas festhält, sei es, weil es mir einfach so gefällt, rein optisch, sei es, weil es mich fasziniert, mich überrascht, mich zu Nachdenken bringt, mich ärgert oder mich erstaunt. Irene hat gesagt, Kunst werde vermutlich erst dann zur Kunst, wenn jemand sie betrachte. Vielleicht DAS Geheimnis.

Urs Widmer hat gesagt, wenn ein Buch gelesen werde, würden daraus zwei. Genauso ist es. Es ist jedes Mal ein anderes Buch, je nachdem, wer es liest, und sogar je nachdem, wann – in welchem Alter, mit welchem Wissen, mit welcher Erfahrung, in welcher Stimmung – dieser Jemand es liest.

So ist es wohl auch mit der bildenden Kunst. Und mit der Musik. Entscheidend ist, was die Kunst mit uns macht, was wir darin sehen, lesen oder hören. Und deshalb bedeutet Kunst für jeden etwas Anderes.

Mit dieser Einsicht gehe ich weiter, sehe mich um, im zentralen Gebäude in den Giardini, am nächsten Tag im Arsenale. Ohne Eile und ohne den Druck, etwas zu verpassen.

Um auf meine anfängliche Frage «Was ist Kunst?» zurück zu kommen: Eine endgültige Antwort darauf finde ich nicht, weil es sie nicht gibt.

Aber die Biennale ist zweifellos ein geeigneter Ort, sich darüber Gedanken zu machen.

*

Am dritten Tag mag ich keine Kunst mehr sehen. Auch keine Menschenmassen mehr. Ich löse mich vom Gedanken, weitere Kunstschauplätze in der Stadt zu besuchen, stattdessen lasse ich mich durch die unbelebteren Hintergassen Venedigs treiben, suche Schauplätze auf, wo Donna Leons Commissario Brunetti seine Fälle löst, und verlaufe mich dabei ein paar Mal hoffnungslos. Aber ein Ausgang findet sich immer, ich kann mich durchfragen, die Stadt ist nicht sehr gross, deshalb mache ich mir keine Sorgen und geniesse es, weg vom touristischen ein bisschen das authentische venezianische Leben zu entdecken. Zum Beispiel im winzigen Laden mit den alten Postkarten, wo ich mich lange mit dem Inhaber unterhalte und erfahre, dass er bald aufhören wird, weil niemand mehr Postkarten verschickt. Wovon er danach leben soll, weiss er noch nicht.

*

Das andere, das touristische Venedig, quillt über, praktisch in jeder Jahreszeit, entsprechend wenig Bewegungsfreiheit gibt es überall da, wo die tägliche Schar abertausender Besucherinnen und Besucher durchgeschleust wird. Und doch: Bei allem Gedränge bleibt diese Stadt eine der faszinierendsten Destinationen auf dieser Welt. Sowohl die Biennale mit ihrer kreativen Energie als auch die Stadt in ihrer unvergleichlichen Schönheit sind einzigartig. Ich erlebe hier immer wieder Momente des Glücks und geniesse sie mit Freude und Lust, genauso wie die Tramezzini, den Wein und den guten Fisch.

 

***

 

Nachtrag: 2020 ist Venedig eine andere Stadt. Sie gehört den Einwohnern, das Wasser in den Kanälen ist so klar wie seit Jahrzehnten nicht mehr, die surrealen Kreuzfahrtschiffe sind stillgelegt. Corona hat der Stadt und der Natur eine Verschnaufpause gegönnt. Wenn wir Glück haben, werden neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft, kluge Innovationen aus der Wirtschaft, nötige Einsichten und entsprechendes Handeln aus der Politik und – last but not least – vernünftiges Masshalten der Bevölkerung die Entwicklung in eine positive Richtung lenken.

 

Ich denke: Die Menschen werden zurückkehren und weitermachen wie bisher.

 

Aber wer weiss schon, was wird?

 

 

Sonntag, 28. Juli 2013

Morgens am See

Sieben Uhr morgens. Um diese Zeit gehört der Park mir. Mir ganz allein!… Na ja, fast.
Bis ich zurück bin, will ich meinen ersten Satz im Kopf haben…
Herrlich! Diese Ruhe! Diese Luft! Diese Frische! Jetzt tieeeef durchatmen, tieef in den Bauch. So ist's gesund. Wird im Alter immer wichtiger, sagt der Hirzel. "Im Alter!" Da meint er wohl mich damit. Charmant!
Also los, der erste Satz. Konzentrier dich!
… Sieh da, der Typ mit der stinkenden Zigarre führt neuerdings einen Deutschen Schäferhund Gassi. Sein Rottweiler hat offenbar das Zeitliche gesegnet. Oder einen anderen Hund verschluckt und muss nun zur Strafe zu Hause bleiben. Der Alte war bestimmt mal bei der Polizei, einer dieser scharfen Hunde. Wie der Hund so der Meister. Oder umgekehrt. Immerhin weiss er, dass er seine Kampfmaschinen an der Leine führen muss.
Konzentrier dich jetzt auf deinen Satz! 
 Ja, ja, überholt mich nur, ihr Ehrgeizlinge. Ich muss mir nichts beweisen. Ich nicht! Ich mach das bloss zu meinem reinen Vergnügen. Na ja, ein bisschen auch für die Gesundheit eben. Und für die Linie. Auch wenn's nichts nützt. Fett verbrenne man nur beim Frieren, sagt der Küng. Wolle ich abnehmen, müsse ich im eiskalten Wasser schwimmen. Dann sind mir die paar Fettpolster doch noch lieber…
Wow, die hat einen super Arsch. Perfekte Figur - kein Gramm Fett versteht sich -, braungebrannt, kurzes hellblondes Haar. Sicher eine Deutsche mit eisig blauen Augen. So eine Disziplinierte. Sieht man ihr sogar von hinten an…
Ich könnte ja einfach mit dem zweiten beginnen, ha, ha…
… Erstaunlich, die Blatterwiese erkennt man ja heute sogar noch als Rasenfläche und nicht bloss als Abfallhalde. Häufig sieht's schlimmer aus. Alles lassen sie fallen und liegen, diese Säue. Widerlich. Was sind das bloss für Menschen!? Zu faul, sich zum Abfallcontainer zu bewegen. Oder zu besoffen. Oder zu dumm. Oder beides. Nimmt mich wunder, wie das bei denen zu Hause aussieht. Wahrscheinlich räumt Mutti hinterher alles auf.
Den Text will ich unbedingt noch schreiben, morgen komme ich nicht mehr dazu…
… Den mit dem Plastiksack, den sehe ich jedes Mal, der sammelt leere Flaschen. Bestimmt für das Rückgabepfand, das er dann gleich wieder in Alk umsetzt. Sieht von weitem eigentlich noch ganz gut aus. Schlank, gross, immer mit Jeans und schwarzem T-shirt. Gerader Gang. Vermutlich ausgesteuert. Schlimm, wenn's einen trifft. Was wohl aus der jungen Rothaarigen geworden ist? Die sah auch gut aus, richtig schön sogar. Jedenfalls nicht so, wie man sich jmanden vorstellt, der aus dem sozialen Netz gefallen ist. Hab mich damals schon gewundert.
Da kommt doch tatsächlich eine, die zum Joggen den Kinderwagen stösst. Dachte, so blöd sind nur Väter. Aber heute muss frau ja schlank und rank sein, Dicke haben das Nachsehen, sogar bei der Stellenbewerbung. Selbst wenn sie besser wären. Wissenschaftlich erhärtet. Die Kate muss jetzt wohl auch gleich anfangen, ihren Schwangerschaftsspeck abzutrainieren. Den Tarif hat Heidi Klum durchgegeben, dieses ewig lächelnde sadistische Biest. Jetzt messen sich die Promis im "Wer ist nach der Geburt sein Fett schneller los"-Wettbewerb. Und alle machen es nach. Und weil sie sich weder eine Nanny, noch eine Gesundheitsexpertin in der Küche, noch einen Personal Trainer leisten können, scheitern sie und sind frustriert. Dann müssen sie eben mit dem Wagen samt Kind drin joggen gehen. Vielleichts gefällts ja dem Nachwuchs. Vielleicht schreit er ja dann gerade mal nicht.
Geist, erfülle mich und schenk mir den ersten Satz! Also: worum geht es im Text? Kurz zusammengefasst um dies:…
… Die scharf begrenzten braunen Flächen sind wohl noch die Folgen des Zürifäschts. Da, wo die Imbissbuden gestanden haben. 'Wir leben schöne Gärten', heisst es auf dem Kleinlaster der Gärtnerei Matter. So ein abgeschmackter Werbefurz. Wir leben Zürich. Wir leben Kino. Wir leben was weiss ich. Hauptsache wir leben es, dieses Es. Ob die Matters auf die neuen Grasrollen warten? Die sitzen wie die Vögel in einer Reihe auf dem Bänkli. Kann um diese Zeit ja noch nicht die Znünipause sein. Der spricht ist ein Schweizer. Sicher der Chef. Nehme an, die andern sind aus Spanien oder Portugal. Die, die die schlecht bezahlte Arbeit machen. Die, die man holt fürs Grobe, um sie danach möglichst schnell wieder los zu werden. Die sprechen nie Schweizerdeutsch.
Du solltest joggen, nicht rennen, mein Lieber. Das bringt gar nichts, wenn Du Dich nasskeuchst. Männer! Nimm Dir ein Beispiel an der da, wie die leichtfüssig dahintrabt. Die kann's, Du nicht, da nützt kein Schwitzen nicht.
Irgendwie hab ich den Kopf nicht bei der Sache. Ich sollte mich nicht immer ablenken lassen…
… Scheusslich, diese klobigen Holzklötze vor dem zierlichen Glaspavillon. Passen wie die Faust auf's Auge. Ein einziges solchen Möbel mag ja noch originell sein. Aber schon zwei sind zuviel. Kitschiger geht's nicht. Aus alten Latten amateurhaft zusammen gezimmert und dann von den lieben Kinderchen bemalt. Ist ja nett. Wahrscheinlich soll das künstlerisch inspiriert sein. Holz isch heimelig, oder so… Überall machen sie idiotische Vorschriften, Strichli, wie weit man mit dem Stuhl aufs Trottoir hinausrücken darf. Aber so etwas  lassen sie dann zu…
Oh je, der hatte Pech. Gleich zu dritt stehen sie um ihn rum und filzen ihn. Nicht die berittene New Yorker, aber die beradelte Züricher Polizei… miiir si mit em Veelo da, la, la… Passend zum rotweissen Velo der rotweisse Helm. Schick. Kurze Hosen. Weniger schick. Zu dritt. Einer der schreiben, einer der lesen.. hör auf, der stinkt schon, so alt ist er. Mit dabei eine Politesse. Nomen est omen. Ob sie tatsächlich höflich ist? Der Gefilzte sieht ganz nett aus, jedenfalls nicht wie ein Drögeler oder Dealer. Aber das sieht man denen ja nicht unbedingt an. Vielleicht hat er keine Papiere und wird jetzt abgeschoben…
Darüber müsste man eine Geschichte schreiben…
… Ob denen Spass macht, was die da tun müssen. Jeden Tag den Abfall der Andern einsammeln. Wo ich wohl gelandet wäre, wäre ich Afrikanerin? In einer Hütte in einem Slum, mit haufenweise Kindern, die ich nicht ernähren kann? Nachdem sie mich beschnitten haben. Unterträgliche Vorstellung. Vielleicht wäre ich auch nach Europa geflüchtet, wie die Wüstenblume, wie hiess sie noch… Das passiert mir immer häufiger. Dünkt mich jedenfalls. Hab mir allerdings Namen früher schon nicht gut merken können. Also nicht gleich in Panik verfallen…
Hoppla, das war knapp. Achtung Velofahrer!  Gefahr im Verzug! Muss wohl etwas besser aufpassen. Am liebsten würde ich jetzt umkehren, aber bis zum Bellevue muss sein, das bisschen Lärm und Gestank überlebe ich. – He, schau, wo Du fährst, Du Idiot! Die Klingel an deinem Velo ist zum Klingeln da, verdammt nochmal! Was, wenn ich gerade hätte ausweichen müssen? Dann hättest du mich glatt überfahren, du Arsch! Aber wehe, euch sieht man mal nicht. Dann werde ihr gleich aggressiv! Führt euch auf, als ob ihr überall das Vortrittsrecht gepachtet hättet! Velopüffel!…
Vielleicht verschiebe ich den Text doch auf nächste Woche…
Der Kehrichtwagen da vorne stinkt zum Himmel. Ich geh die nächste Treppe zum Quai runter, das ist ja nicht auszuhalten…
Genau! Pumpstation heisst die Beiz… Hab's glaub ich gerade zum ersten Mal gelesen, dabei gehe ich doch fast täglich daran vorbe… Den Holzpferch haben sie zum Glück wieder abgebaut. Jetzt hat's doch gleich wieder viel mehr Charme, mit den alten Blechtischen und den wackligen Klappstühlen auf dem unebenen Alphalt. Jetzt müssten sie sich nur noch etwas ähnlich Passendes zum Glaspavillon einfallen lassen…
Puaahh, der Wagen stinkt! Schnell runter…
Das eben waren Amis. Eines dieser gut aussehenden ältenen Amipaare. Gross und schlank. Beneidenswert. Europa 5 Dollars a day. Die sehen allerdings nicht so aus…
Bellevue. Halbzeit. Uund meinen ersten Satz hab ich immer noch nicht.…
… Japaner. Unverkennbar. Die erkennt man an den Fotoapparaten. Weiss noch in Hongkong damals. Da haben sie carweise Japaer ausgekippt, die standen eine Weile da, haben fotografiert und sind wieder eingestiegen. Seltsames Volk!
Ich beginne doch einfach zu schreiben. Irgendwann fällt mir der Satz dann schon ein. Als göttliche Eingebung sozusagen…
Die da vorne reden bestimmt Deutsch. Wetten?!… Na also, was hab ich gesagt?! Deutsch ist ja jetzt die Landessprache hier, jedenfalls im Seefeld…
Eigentlich sollten wir froh sein. Man stelle sich vor, wir Schweizer wären immer nur unter uns geblieben. Dann hockten wir wahrscheinlich noch auf der Alp, jede mit jedem verwandt und verschwägert, holzklotzig ignorant und tumb. Kuhschweizer eben. Man stelle sich überhaupt ein Volk ohne jede Blutauffrischung vor. Der pure Inzest. Führt in die Verdummung, wie man weiss.
"Mein Name ist... " Ganz simpel und einfach. Aber darauf sind schon zu viele gekommen… "Mein Name sei Gantenbein" - war das eigentlich bloss der Titel?
Ich muss unbedingt mein Bruderherz anrufen und fragen, wie es Mam geht. Zum Glück wohnt er in der Nähe des Altersheims und nicht ich. Ich weiss nicht, ob ich sie so regelmässig besuchen würde wie er. Vorbildlich. Muss man ihm lassen. Ich könnte das glaub ich nicht. Der Altersheimmief ist fürchterlich deprimierend. Ich hoffe, mir bleibt das erspart. Alt werden ist so was von Zumutung! Vorher abtreten wär das Beste. Für alle. Aber ob ich den Mut dazu hätte?
Drei Viertel geschafft - oder sind's zwei Drittel, oder vier Fünftel?
Ich bin nicht Stiller. Aber der ist nicht von mir.
Der Weg hinter dem Pavillon ist schattiger, ich nehme besser den. Bin mir noch immer reuig, dass ich letztes Mal dem Typ nichts gesagt habe, der die Kacke seines Hundes einfach hat liegen lassen. Ob er eigentlich kein Hirn im Kopf habe, hätte ich sagen sollen, ob er sich nicht vorstellen könne, dass hier auch Kinder spielen. Aber wahrscheinlich hätte ihn das überhaupt nicht gekratzt. Wahrscheinlich hätte er nur gedacht, du blöde Kuh, halt dein Maul, und mich womöglich noch zusammengestaucht.
Bald geschafft! Nur noch das letzte Stück am Ufer…
Vielleicht fällt mir der Satz ja unter der Dusche ein…
Welche Wohltat diese Stille hier. Nur das Plätschern des Wassers, das über den Steinen zusammen schlägt und das leise Scheppern der Boote. Richtig idyllisch. Ich könnte stundenlang zusehen, wie die Enten und Schwäne sich auf den weichen Wellen wiegen lassen. Nur die Möven sind noch nicht da. Bloss vereinzelte. Wahrscheinlich, weil noch niemand zu sehen ist, der sie füttert.
Irgendwann werde ich einen dieser Steintürme anstossen und schauen, was passiert. Ist mir ein Rätsel, dass die stehen bleiben. Vielleicht ist ja doch ein Trick dahinter, vielleicht sind sie ja doch geleimt. Aber das hätte ich gesehen, als ich mal zugeschaut habe, wie einer sie aufgetürmt hat, einen grossen Stein zuunterst, darauf einen kleinen, schmalen, hoch gestellten, darauf wieder einen dicken, und so weiter. Unglaublich, dass das hält.
Der Rest ist Schweigen. Aber das ist ein letzter, kein erster Satz…
Am liebsten würde ich jetzt noch ein bisschen hier bleiben und Sonne tanken. Wäre gut für die Knochen. Aber ich muss unbedingt am Text arbeiten. Morgens kommen die besten Ideen…
Oder auch nicht.
"Ich habe einen schlechten Charakter und eine gute Figur. " Der würde mir gefallen. Aber den hat schon jemand erfunden.




Donnerstag, 11. Juli 2013

Scharia und Demokratie schliessen sich aus

Ich freue mich mit der wachsenden Hälfte der ägyptischen Bevölkerung, die mit ihrem Protest erreicht hat, dass Mursi abgesetzt wurde. Als Frau bin ich sowieso und als Aegypterin wäre ich ebenfalls ohne jeden Zweifel auf deren Seite und verstünde nicht, weshalb im Westen überhaupt die Frage aufkam, es könnte sich um einen Putsch handeln. Das Militär hat sich auf diejenige Seite des Volkes gestellt, welche die Demokratie will. So lange das Militär die Macht nicht für sich in Anspruch nimmt und weiterhin die Demokratiebewegung unterstützt - und danach sieht es aus - so lange war das kein Putsch, sondern ein demokratisch legitimierter Umsturz.
Ein Bekannter von mir ist – säkularer - Aegypter. Er telefoniert täglich mit seinen Leuten in Aegypten. Sie sagen alle das Gleiche: Die Funktionäre der Muslimbrüder seien - was man hier viel zu wenig wisse - unendlich reich und stockkorrupt, darin stünden sie dem alten Regime in nichts nach. Wie weit das stimmt, kann ich nicht beurteilen. Aber offensichtlich ist auch bei uns die Tatsache, dass in dem Jahr ihrer Regentschaft so ziemlich alles den Bach hinunter gegangen ist. Deshalb ist mein Bekannter so enttäuscht, wie hier im Westen von gewissen Kommentatoren die Moralkeule geschwungen und in gewissen Medien nur diese legalistische Sichtweise verbreitet wird.
Die Muslimbrüderschaft hat sich als unfähig zum demokratischen Kompromiss erwiesen und als unfähig, das Land in die Zukunft zu führen. Damit hat sie sich selber desavouiert. Jetzt auf dem Argument zu beharren, ein demokratisch gewählter Präsident sei illegal per Putsch gestürzt worden, ist nicht nur arrogant, sondern auch scheinheilig. Wer verfolgt hat, wie sich die Muslimbrüderschaft sukzessive alle Machtpositionen gesichert hat, wie sie mit der undemokratisch zustande gekommenen Verfassung die Scharia einführen wollte, ein religiöses Gesetz, dem sich alle zu unterwerfen gehabt hätten, also auch die Kopten und die säkularen Aegypter, für den ist es keine Frage, dass es richtig war, diese Entwicklung noch rechtzeitig zu stoppen. 
Am Abend des Umsturzes wurde bei CNN eine amerikanische Politologie-Professorin einer New Yorker Universität interviewt. Sie sprach perfekt Amerikanisch, trug aber ein Kopftuch und erklärte mit grimmiger Miene, - sinngemäss zitiert - es handle sich um einen illegalen Militärputsch. Ich traute meinen Ohren nicht. Aegypten befindet sich in einer völlig desolaten Situation, die Menschen sehen keine Zukunft mehr, 22 Millionen Menschen sprechen sich für die Absetzung Mursis aus, Hunterttausende gehen dafür auf die Strasse, auf der andern Seite stehen die Anhänger der Muslimbrüderschaft, entschlossen, die gewonnene Macht ihrer Führer zu verteidigen. Eine Pattsituation. Mit andern Worten: Stillstand. Darin die Gefahr eines Bürgerkriegs. In dieser Situation ging es doch bloss noch darum, auf welche Seite sich die Armee schlagen würde. So oder so musste sie sich entscheiden. Und sie hat sich gegen eine Diktatur der Scharia und für jenen - immer grösser werdenden - Teil der Bevölkerung entschieden, der sich die Demokratie wünscht.
In den USA wird jetzt rechtlich abgeklärt, ob es sich um einen Militärputsch oder einen Umsturz gehandelt hat, und gewisse Politiker wollen die Gelegenheit nutzen, den Geldhahn Richtung Aegypten ganz abzudrehen. Für mich unverständlich. Es sei denn, die amerikanische Politik ist an der Herrschaft der Muslimbrüderschaft interessiert. Es geht ja in der Politik vor allem um Eigeninteressen und Einfluss, selten um das Gesamtwohl der Völker.
Ich bin weder Politik- noch Nahost-Expertin, ich kenne die Rolle der Muslimbrüderschaft im heiklen Umfeld des Nahen Ostens nicht. Wenn ich hier Stellung beziehe, dann aus der Überzeugung, dass alle Menschen das Recht auf Freiheit in einer demokratisch organisierten Gesellschaft haben. Und aus dieser Sicht war es richtig, Mursi abzusetzen. Obwohl er demokratisch gewählt wurde, von 52 Prozent, das heisst von der grösseren Hälfte der Bevölkerung. Aber das Vertrauen der andern Hälfte besass er nie wirklich, und den Kredit, den sie ihm trotzdem gab, hat er in kurzer Zeit verwirkt. Sogar das Vertrauen eines Teils derjenigen, die ihn gewählt haben. Tatsache ist: Das Kräfteverhältnis hat sich immer mehr zugunsten der Mursigegner verschoben. Denn eine demokratisch erfolgte Wahl ist noch lange kein Freischein, der es dem Präsidenten erlaubt, danach alle demokratischen Grundsätze zu missachten mit dem Ziel, die Scharia als Staatsdoktrin einzusetzen und dabei den Willen der Andersdenkenden zu ignorieren. Auf diesem Weg war Aegypten. Das hat jetzt das Volk mit Unterstützung des Militärs vorerst einmal verhindert.
Wie es weitergehen wird, ist offen. Das ist mir bewusst. Aber ich wünschte mir, dass der Westen nicht einfach abwartet, wie es ausgehen wird, um sich dann auf die Gewinnerseite zu schlagen, sondern dass er die Demokratiebewegung aktiv unterstützt, indem er ihre offiziellen Vertreter anerkennt.
Fest steht: Die ägyptische Revolution ist in eine nächste Runde gegangen. Revolutionen waren noch nie ein Spaziergang. Und die Zeit danach ist immer fragil, die Gefahr eines Rückschlags allgegenwärtig. Dass die Muslimbrüderschaft und ihre Anhänger keine Kompromisse eingehen wollen und wohl auch nicht werden, ist nicht erstaunlich. Sie haben die Demokratie nicht begriffen, auch wenn sie sich jetzt auf die demokratische Wahl Mursis berufen. Denn nach dem Gesetz der Scharia hat der Mensch diese kritiklos zu akzeptieren. Das heisst nichts anderes, als dass Demokratie und Scharia sich gegenseitig ausschliessen.
Die Situation bleibt brandgefährlich. Auch weil noch nicht klar ist, was die ideologisch noch viel gefährlicheren Salafisten anrichten werden. Mein Bekannter sagt, dass sich trotzdem ein neuer Optimismus breit macht. Weil Armee und Polizei auf der Seite der Demokratiebewegung stehen. Das ist zumindest ein gutes Zeichen.
Wie schnell jetzt mit den Erfahrungen aus dem alten korrupten System und den Lehren aus der gescheiterten Herrschaft der Muslimbrüderschaft eine neue, demokratische Gesellschaft aufgebaut werden kann, ist völlig offen. Aber der Wille der jungen ägyptischen Bevölkerung ist eindeutig. Sie hat die Freiheit gekostet. Und sie hat erfahren, dass der Mehrheitswille eines Volkes durchgesetzt werden kann. Diese Erfahrung ist auf lange Sicht entscheidend.

Sonntag, 30. Juni 2013

Fremdwörter sind oft ungenau

Kürzlich hat mir ein Tischnachbar – ein Geschäftsmann - erzählt, wie ein Journalist auf eine seiner Antworten anerkennend genickt habe: „Das war stringent formuliert, gratuliere!“ Indem er mir das erzählte, wollte mein Tischnachbar nicht etwa sich selber loben, sondern sich über den Journalisten lustig machen.
Die Geschichte ist mir nachgegangen. Tatsächlich hätte der Journalist die klaren Worte seines Interviewpartners ja auch genau so klar auf Deutsch kommentieren können. Aber er gebrauchte ein Fremdwort: „stringent“. Warum? Wollte er seine sprachliche Überlegenheit markieren? Machte er sich wichtig? Was hat er überhaupt gemeint? Dass die Antwort „schlüssig“ oder „nachvollziehbar“ oder „lückenlos“ oder „zwingend“ war? Oder dass sie „zusammenziehend“, resp. „zusammenfassend“ war, analog der lateinischen Herkunft? Was nun?
Fremdwörter sind nicht immer genau. (Und wenn sie es sind, können sie offenbar auch zur Falle werden: So las ich zum Beispiel im Tages-Anzeiger einen Artikel, worin der Autor aus einer Menge Protestierender lauter Protestanten gemacht hat, wogegen diese ganz bestimmt sogleich wieder auf die Strasse gegangen wären um erneut zu protestieren…)
Einige Tage später sassen wir nach der Chorprobe zusammen. Diesmal neben mir ein pensionierter Institutsleiter. Er erzählte anschaulich und spannend von seinen Studienreisen. Auf unsere bewundernden Bemerkungen meinte er, jetzt könne er sich ja zum Glück so ausdrücken, wie ihm der Schnabel gewachsen sei. Das sei leider im wissenschaftlichen Betrieb nicht möglich. Warum eigentlich nicht? Hoimar von Dittfurth hat einmal sinngemäss geschrieben, jemand habe eine komplexe Materie erst dann wirklich begriffen, wenn er sie so erklären könne, dass der einfachste Mensch sie verstehe.
Mir ist der Schulpsychologe in den Sinn gekommen, dem wir das Interview zur Autorisierung vorgelegt hatten. Er strich praktisch all seine Antworten und dazu auch noch ein paar Fragen durch, um sie durch „wissenschaftlich korrekte“ Formulierungen zu ersetzen. Obwohl er, wie er zugeben musste, absolut richtig verstanden worden war und die Antworten auch dem entsprachen, was er gemeint hatte. Trotzdem beharrte er auf der „Fachsprache“. Auf unseren Einwand, dass die Leserschaft kein Fachpublikum sei, meinte er nur, wenn der Artikel in der „übersetzten“ Form erscheine, würden ihn seine Kollegen nicht mehr ernst nehmen… Das Interview ist nie gedruckt worden.
Als Journalisten lernen wir, ein komplexes Thema allgemein verständlich aufzubereiten. Vorausgesetzt wir haben – im Sinne von Dittfurth – die Materie begriffen. Wenn nicht, bieten sich die Fremdwörter geradezu als idealer Griff in die Trickkiste an. Nichts ist geeigneter, einer ungefähren, schwammigen Aussage den Anstrich von Seriosität und Genauigkeit zu verleihen.
Niemand hat die Unart, sich hinter Fremdwörtern zu verstecken, scharfzüngiger gegeisselt als Wolf Schneider. Viele unter uns Älteren mögen sich noch an seine geistreichen Kolumnen in der NZZ erinnern. Er war so etwas wie der Deutsch-Papst für Journalisten. Ich weiss noch, wie er unsere Texte gnadenlos zerpflückt hat, und wie wir ihm selten etwas entgegen setzen konnten. Wer selbstkritisch genug war musste zugeben, dass er eigentlich immer Recht hatte. Denn sein literarisches Wissen, das er vergleichend beizog, war immens – pardon, riesig - und seine sprachliche Kompetenz – pardon, Fähigkeit - nicht minder – pardon, weniger - beeindruckend.
Über die Notwendigkeit der „wissenschaftlichen Fachsprache“ gerate ich ab und zu mit einem Freund in die Haare, einem sehr gebildeten und sehr wissenschaftsgläubigen Menschen, der mich jeweils mitleidig belächelt, wenn ich mich in Rage – pardon, in Wut - rede. Natürlich ist mir auch klar, dass die Wissenschaft nicht ohne Fachausdrücke auskommt und natürlich ist mir auch klar, dass diese Fachausdrücke weltweit verständlich und gleichbedeutend sein müssen, ohne dass sie jedes Mal übersetzt werden müssen. Und mir ist auch klar, dass es für gewisse Dinge gar keine anderen Bezeichnungen gibt als die fachspezifischen.
Trotzdem bin ich der Meinung, dass so manches komplexe Problem deutlicher und somit verständlicher und womöglich lösbarer würde, müsste es „ausgedeutscht“ werden. So mancher könnte sich dann nicht mehr hinter Floskeln verstecken, um seine wahren Absichten zu vertuschen. Und mancher könnte sich nicht mehr darum herum drücken, dass er etwas nur halb oder nur der Spur nach verstanden hat.
Der Freund, mit dem ich mich ab und zu streite, ist ein vielseitig interessierter Akademiker, der sich sein Wissen akribisch genau aus den wissenschaftlich und aus den von Bildungsbürgern anerkannten Quellen zusammenträgt und aktualisiert. Aber ihm fehlt die Freiheit, sich von festgeschriebenen Regeln zu lösen und kreative neue Ideen zu entwickeln. Und er vergisst, dass die wichtigsten Erkenntnisse oft ein Produkt des Zufalls sind, kreative Eingebungen sozusagen. Diese entstehen nicht, indem man sich an Regeln festklammert. Das gilt überall. Auch beim Schreiben. Es gibt die klar definierte journalistische und die kreative Sprache. Spannend wird es, wenn ein Autor beides beherrscht und miteinander verbinden kann. Möglichst ohne Fremdwörter.

Sonntag, 16. Juni 2013

Unser täglich Lärm gib uns heute...

Endlich Sommer! Eigentlich hatte ich mich auf einen friedlichen Nachmittag auf meinem kleinen Balkon gefreut, um - fernab vom Getümmel an der Seepromenade - in aller Ruhe ein paar Mails zu beantworten und danach die Biographie über Mani Matter fertig zu lesen, die mich so sehr an meine eigene Berner Zeit erinnert.
Kaum habe ich mich gemütlich eingerichtet, die ersten aggressiven Bässe aus einem langsam vorüber ziehenden, voll aufgedrehtem Kassettenrecorder… diese unangenehm aggressiven Bässe, die meinen gefühlten Blutdruck jedes Mal gefährlich steigen lassen… Nicht aufregen, denke ich, gleich sind sie weg, Richtung See…
Denkste! Ein paar Minuten später schon der nächste Sound… diesmal irgendwas Hardrockiges, selbstverständlich ebenfalls volle Pulle aufgedreht… als nächstes ein Auto mit geöffnetem Dach, arabischer Singsang erfüllt jetzt die Gegend… und so weiter…
Ich nehme an, sie sind alle jung, in Gruppen, ich kann sie nicht sehen nur hören, ihre Musik, ihre Stimmen, die den Lärm übertönen müssen, ihr Gelächter. Und sie mir vorstellen: Je nach Aggressivitätsgrad der Musik anders gekleidet, mal mit langen Haaren, mal kahl geschoren bis auf den stehen gelassenen, lächerlichen kleinen Büschel auf dem Kopf. Die Welt gehört ihnen, sie sind im Recht, was immer sie tun, wo immer sie stehen und gehen und ihre Duftmarke hinterlassen. Ob als Lärm oder als liegen gelassener Abfall. So scheint es mir jedenfalls manchmal und ich frage mich, ob ich langsam zu alt werde oder ob Rücksichtnahme tatsächlich nicht mehr zum Wortschatz der jungen Generation gehört.
Es ist nicht der alltägliche Lärm, der mich stört, weder die Autos, die vorbei fahren, noch das übliche Stimmengewirr, auch nicht das Schreien der Kinder, das ja manchmal auch ganz schön laut sein kann. Sogar die sporadischen Motorengeräusche eines Helikopters oder eines Lasters bringen mich nicht aus der Ruhe, denn dieser Lärm ist in der Regel unvermeidbar.
Mich stört ein ganz bestimmter Lärm, jener, der aus Gedankenlosigkeit entsteht, der sich mit ein bisschen mehr Rücksicht auf die Mitmenschen vermeiden liesse. So man denn wollte...
Aber eben: Man gewöhnt sich an allem, auch am Dativ...!
So habe ich mich mittlerweile an die langen und meist lautstarken Verabschiedungen nach Beizenschluss gewöhnt. Sogar an das Gekreisch der Teenies unter meinem Schlafzimmerfenster. Irgendwann verschwinden sie in die nächste Location oder nach Hause, denke ich dann. Aufregen nützt nichts, ich wusste ja, worauf ich mich einlasse, als ich in die Stadt zog. Also gehe ich jetzt einfach später ins Bett, stecke Pfropfen in beide Ohren und schliesse das Fenster, auch wenn’s noch so heiss ist draussen. Gegen Morgen lasse ich dann die frische Luft herein und schlafe noch eine Weile weiter. Vorausgesetzt ich habe Glück und es fährt gerade kein getunter Töff vorbei, dessen Lärm im umgekehrten Verhältnis zur Hirnmasse seines Fahrers stehen muss, und auch kein schnittiger BMW mit Turbomotor, an dessen Steuer ein Möchtegern-Macho sitzt, der sich bei seiner Begleiterin wichtig machen muss, weshalb die aufgedrehten Bässe schon zu hören sind, wenn das Auto noch kilometerweit entfernt ist.
Aber selbst daran habe ich mich mittlerweile gewöhnt. Mein Schlaf wird zwar immer häufiger gestört, und das nicht nur in den Sommermonaten, aber ich hab’s ja so gewollt, ich wollte ja unbedingt in die Stadt, ich blöde Kuh. Ich könnte ja ausziehen und mir eine ruhige Wohnung auf dem Land suchen, wo ich mich dann über die Grillen, das frühmorgendliche Vogelkonzert oder das Kuhglockengebimmel ärgern kann…
Aber ich bin nun mal ein Stadtmensch. War es schon immer.
In letzter Zeit hat sich eingebürgert, bei offenem Fenster Wohnungspartys zu feiern. Mal in dem einen, dann wieder in einem andern Haus in der Nachbarschaft. Obwohl ich in einen Wohnquartier lebe und nicht etwa in der Ausgehmeile von Zürich. Diese Feste dauern selbstverständlich über die Polizeistunde hinaus bis in die frühen Morgenstunden, und wie bei Partys so üblich, wird die Stimmung von Stunde zu Stunde etwas ausgelassener und entsprechend lauter. Ich glaube nicht, dass sich die Feiernden bewusst sind, dass sie eine ganze Nachbarschaft belärmen. Ich bin sogar überzeugt, dass bei ihnen dieser Gedanke überhaupt gar nicht erst aufkommt.
Das bringt mich jedes Mal in einen Konflikt. Soll ich aufstehen, rüber gehen und denen sagen, dass sie doch so nett sein und das Fenster schliessen sollen, damit ich wieder schlafen kann. Aber ehrlich gesagt, da stinkt mir. Und ausserdem fehlt mir der Mut. Was ist, wenn ich die Einzige bin, die nicht schlafen kann? Ausserdem, würden sie mich überhaupt ernst nehmen? Wohl kaum. Sie würden mir vermutlich versprechen, dass es nicht wieder vorkommen wird, und dabei denken, die blöde Alte soll doch wegziehen, wenn es ihr nicht passt.
Ich gebe zu, ich hab schon daran gedacht, die Polizei zu rufen. Denn eigentlich wäre ich im Recht: Ab 22 bis 7 Uhr gilt laut Polizeiverordnung eigentlich Nachtruhe. Aber irgendwie halte ich mich dann doch nicht dafür. Ziemlich spiessig, die Polizei zu rufen, oder nicht? Und wer will schon als Spiesser gelten? Oder als nörgelnde Alte?
Wahrscheinlich werde ich mich auch noch an die Partys gewöhnen. Als ausgesprochen friedlicher und toleranter Mensch, der gerne alle so leben lässt, wie sie möchten, begnüge ich mich damit, meinen Ärger aufzuschreiben. So wie jetzt. Als Trost bleibt mir die Hoffnung, dass mit zunehmendem Alter auch mein ausgezeichnetes Hörvermögen abnehmen wird, über das ich zumindest jetzt noch verfüge und das ich besonders schätze, wenn ich beispielsweise Musik höre - auch mal laut, aber dann bei geschlossenem Fenster und sicher nicht mitten in der Nacht  - oder im Wald den verschiedenen Lauten der Natur nachlausche.
Grüne Parteien beklagen den Privatverkehr und den Fluglärm, die SP verlangt mehr Freiraum für die Jungen und findet verständnisvolle Worte für jede noch so idiotische neue Mode, etwa den Botellon, die wohl eher aus Langeweile und zu viel als zu wenig Freiheit heraus entsteht. Denn die Jungen sind die zukünftigen Wähler. Mit ihnen will es sich keine Partei verderben.
Das ist mir natürlich bewusst. Trotzdem frage ich mich, ob eine Partei – es dürfte selbstverständlich auch eine so genannt bürgerliche sein - tatsächlich den Mut hätte, sich dem Schutz der städtischen Wohnbevölkerung vor dem ständig zunehmenden Lärm unserer überbordenden Spassgesellschaft anzunehmen. Auch wenn sie sich damit beim Gewerbe mit grosser Wahrscheinlichkeit und bei den Jungen garantiert unbeliebt machen würde.
Ist wohl bloss eine rhetorische Frage.

Freitag, 3. Mai 2013

Das Bild: Erste Feedbacks

Die Verunsicherung, die dich erfasst, wenn es die erste Zeit nach dem Erscheinen deines Buches erst einmal still bleibt, ist vollkommen irrational. Das ist dir bewusst. Trotzdem fragst du dich immer wieder: War alles für die Katz? Ist das Buch so schlecht, dass die Leute nicht einmal den Mut haben, es dir zu sagen? Du zweifelst an dir, obwohl du weisst, dass es total unrealistisch ist, schon am nächsten oder übernächsten Tag irgend eine Reaktion zu bekommen. Was hast du denn erwartet? Hast du gedacht, die Leute hätten nichts anderes zu tun, als dein Buch sofort zu lesen und sich danach gleich ans Telefon zu hängen oder an den Compi zu setzen, um dir zu sagen, wie toll das Buch sei?
Die Verunsicherung verlässt dich auch dann nicht, wenn die Reaktionen schliesslich tropfenweise eintreffen, sie bleibt sogar dann noch bestehen, wenn die Feedbacks alle positiv ausfallen. Sagen sie dir das nur, weil sie dich mögen? Oder schreiben nur diejenigen, denen es gefallen hat oder hat es ihnen gar nicht gefallen, aber sie wollen dich nicht verletzen? Mal kommt eine SMS, "bin begeistert von deinem roman, er ist spannend, witzig und intelligent geschrieben…", oder eine Mail: "Bin am Lesen deines Buchs. Spannend!", oder ein Telefon: "Musste dir einfach sagen, wie sehr mir dein Buch gefallen hat...". Das sollte dich doch glücklich machen. Tut es aber nicht. Bist du bloss undankbar?
So oder ähnlich ist meine aktuelle Gefühlslage. Sie schwankt von Tag zu Tag, manchmal sogar stündlich, ein ständiges Auf und Ab. Mal denke ich, dass ich meine Sache gar nicht so schlecht gemacht habe, dann wieder, dass ich es besser hätte sein lassen. Vielleicht ist das normal. Vielleicht gehört das jetzt zu meinem Leben.
Nimmt sich jemand die Mühe, eine Kurzrezension zu schreiben, bin ich jedes Mal vollkommen überrascht und freue mich total darüber. Drei dieser Feedbacks möchte ich gern hier veröffentlichen. Sie sind anonymisiert, aber die Namen sind mir selbstverständlich bekannt.
Mich würde es sehr freuen, wenn sich an diese angefangene Liste weitere Kurzrezensionen anschliessen würden...


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Der Schnellste war ein ehemaliger Schulkollege:
(…) Ich war willens, die Geschichte durchaus kritisch zu prüfen. Als erstes dann der Nachruf und mein Stutzen, vorwärts blättern, rückwärts blättern... Ist das ein Vorwort? Glückwunsch zu dieser Idee, die den Leser schon mal aus seiner Gemütlichkeit reisst und seine Aufmerksamkeit vervielfacht. Dann habe ich versucht, mich von der Geschichte von Alma, Mona, Lisa und Paul forttragen zu lassen. Das ist mir ganz leicht gefallen. Es gab einige Momente, da kam die erwartete kleine, gemeine Langeweile aus ihrem Versteck hervor. Aha, da haben wir sie wieder, die treue Begleiterin aller Autoren, habe ich genüsslich vermerkt. Aber einige Zeilen weitergelesen und der Spannungsbogen war wieder da. Wie hast du das gemacht? (…) Ich habe das Buch höchst amüsiert und in kurzer Zeit gelesen. Natürlich ist mir nicht entgangen, dass das Schicksal der Figuren auch tragisch ist. Aber Deine Geschichte plätschert in grosser Selbstverständlichkeit so munter durch die Zeit, dass auch der "Ernst des Lebens" ganz bekömmlich wird. Und es ist das Leben und das Denken unserer Generation, die einem in Deinem Buch wohltuend umfängt.
C.B., Murg
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(…) wir haben deinen Roman gelesen und finden darin  eine ungeheure Fülle von "Menschlichkeiten". Wir sind uns nicht ganz schlüssig: Ist das nun ein Krimi? Zum Teil sicher. Ist das eine Liebesgeschichte? Zum Teil ebenfalls. Sind das Charakterzeichnungen von Menschen? Zum Teil auch das. Es ist wohl die Mischung, die dieses Buch so spannend werden lässt. Fazit: "Das Bild" können wir empfehlen.
F. und I. H., Bülach
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(…) Mit Spannung habe ich "Das Bild" gelesen, vielmehr verschlungen. Die Handlungen nehmen immer wieder eine unerwartete Wendung. Die Neugier steigt. Nie kommt Langeweile auf. Ich wäre auch drangeblieben, wenn dein Buch 260 Seiten oder mehr aufgewiesen hätte. Mit "Nachruf" und "Ausstellung" in der NZZ am Sonntag hast du uns Leser-/innen zwei Artikel vorgesetzt, die uns fast verunsichern und uns glauben machen, wir könnten uns in der realen und nicht in der fiktiven Welt deines Romans befinden.
Den Zeitgeist der 60er und der 70er-Jahre hast du sehr treffend beschrieben. Die sexuelle Revolution, die Frauenbefreiungsbewegung, die Auflehnung gegen das Establishment: diese Ereignisse gingen nicht spurlos an unserer Generation vorbei, ebensowenig wie die spätere Fichenaffäre. Dass du das jeweils aktuelle Zeitgeschehen in deinen Roman einfliessen lässt, die ehemalige Swissair darin vorkommt und so Profanes wie AHV und Renten ihren Platz finden, schafft für uns Schweizer Leser-/innen Nähe zum Geschehen. Für einmal finden wir uns in unserem Alltag wieder. Es ist nicht das unerreichbare Milieu von Glanz und Glamour von unerreichbaren Superstars und Superreichen, die uns ein Leben im Luxus vorgaukeln. Im Gegenteil. Du getraust Dich, übers Älterwerden, Krankheit und Tod zu schreiben. Es bereitete mir grosses Vergnügen, an deiner Lesung teilzunehmen und danach deinen Roman zu lesen. Vielleicht folgt bald ein nächster Band?
M.K., Watt
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Ich gratuliere Dir von ganzem Herzen für das spannende Buch, in dem die weibliche Kraft und Weisheit zum Ausdruck kommen. „Das Bild“ liest sich wie ein Krimi. Du beherrscht das Schreiben und erzeugst dadurch Spannung, Fantasie  und Gefühle. Gratuliere!
E.B., Stadel
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Mir gefällt sehr gut wie Du einen Ort, eine Handlung, das Verhalten der  Figuren präzise beschreibst. Man wird so richtig hineinversetzt und kann die beschriebenen Gerüche fast riechen.
Die Verknüpfung der Figuren  greifen ineinander wie Zahnräder in einem Getriebe.
Deine Gefühle schreibst Du ungeschminkt nieder. Schreibst auf einem sauberen, hohen Level und beschreibst trotzdem jede Lebensphase bis ins Intime. Du verstehst es gut, den Leser immer wieder mit Deiner Story zu fesseln und seine Neugier zu steigern.
Die grosse Pointe lässt Du erst am Schluss platzen, profihaft, grossartig!!!
W.K., Hinterkappelen 
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Dein Buch habe ich fast in einem Zug mit grossem Vergnügen gelesen. Martin Suter muss sich vor dir in acht nehmen. Gratuliere!
J.H., Zürich


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Und hier noch die Links zu den bisher erschienenen Buchbesprechungen (ich hoffe, mit der Zeit folgen auch hier noch ein paar weitere...):
http://www.zuonline.ch/artikel_136766.html
--> http://www.lesefieber.ch/buchbesprechungen/christine-fivian-das-bild
http://pressespiegel.metacommunication.com/clippings/Kunden/Brunner_Edition_Xanthippe/2013/05/17/Brunner_Edition_Xanthippe_A004068_12013_74_288136869825426679344.pdf
 

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Ein paar Monate später und um Einiges gelassener:
Das Bild ist mittlerweile schon vielerorts besprochen worden. Meistens wohlwollend bis positiv. Es gab auch negative Kritiken. Aber insgesamt wird das Buch von denjenigen, die es gelesen haben, positiv beurteilt. Von manchen sogar sehr.
Dazu gehört auch die folgende Kritik, von der ich mich verstanden gefühlt habe:

(rz) Man muss den Kopf dabeihaben beim Lesen, auch wenn evozierte Gefühle einen oft abdriften lassen, denn die Geschichte besteht aus gekonnt geknüpften, sich ineinander verheddernder, sich wieder lösender und doch nicht voneinander loskommenden Lebensfäden von drei Frauen und einem Mann. Paul, der Maler, hatte mit allen eine Beziehung, die aber unterschiedlicher nicht hätte sein können - so wie auch die Persönlichkeiten der drei Frauen, ihre Werte und ihre Lebenskonzepte sich voneinander abheben.
Drei Frauen und ein Mann
Die drei Frauen, die erste Liebe Lisa, die Lebenpartnerin Alma und die leidenschftliche Affäre Mona, waren Freundinnen, bevor Paul in ihr Leben trat und bei allen irgendwann einen Bruch verursachte. Alle drei waren Stewardessen bei der Swissair, attraktiv und weitgereist. Damals sehr moderne junge Frauen, die nun mehr oder weniger elegant aufs Pensionsalter zuschlitterten. Der Auslöser der dramatischen Entwicklung ist das Bild einer Göttin, das Paul von Alma zurück haben möchte. Damit beginnt das Buch. Man liest sich aber nicht von Seite zu Seite in einem ruhigen Fluss – man lässt sich wie durch einen magischen Sog immer wieder in unterschiedliche Szenen und psychische Befindlichkeiten einziehen, die zudem noch in regen Wechselbeziehungen stehen.
Spannungsvoller Lesestoff
Die Szenen lassen die Lesenden durch Vergangenheit und Gegenwart hüpfen, aber nicht zufällig, sondern raffiniert komponiert und brillant erzählt durch die Autorin Christine Fivian. Die Protagonisten selbst springen von Befindlichkeit zu Befindlichkeit, aus der sie die ganze Geschichte unterschiedlich beleuchten, Gescheihen in die Nähe oder weit weg zoomen und entsprechend erzählen und kommentieren.
Komplexe Ambivalenzen, nur viel komplizierter als bei Goethe, der lediglich über zwei Seelen in der Brust klagte.
Die Dinge haben die Bedeutung, die man ihnen gibt – und das kann sich jederzeit ändern. Wer spielt mit wem, die Frauen mit dem Mann? Der Mann mit den Frauen? Oder das Schicksal mit allen vieren? Die Geschichte nimmt immer wieder unerwartete Wendungen. Nur eine Frau überlebt das Ende des Buches. Und sie bleibt zurück mit der Gewissheit, ein einzigartiges Leben gelebt zu haben, das mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet hat. Ähnlich geht es den Lesenden. Das Buch macht etwas mit ihnen. Es ist ein Buch, das man zwar weglegt, das einen aber nicht so schnell loslässt. Denn etwas von allen drei Frauen steckt in jeder Frau. Was nicht heisst, dass “Das Bild” nicht auch für Männer ein sehr lesenswertes “Vexierbild” ist.
 
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Ich kann an dieser Stelle nicht alle Feedbacks auflisten. Hier deshalb ein letztes aus den zahlreichen Mails, die ich bekommen habe:


(…) Ich habe Dein Buch verschlungen, ein hervorragender Roman, packend, knapp, spannend in jeder Hinsicht, sowohl thematisch wie sprachlich wie im Aufbau!  (…) Ich kenne etliche Frauen, für die es wie ein Memorandum geschrieben ist, vielleicht weniger, was die Freundschaft zu anderen Frauen in der Gleichzeitigkeit von Liebesobjekten betrifft als was die Verfänglichkeit und Heftigkeit, die Glückserfahrung und Täuschungsmacht sexueller Anziehung beinhaltet, auch die Umkehrung von Liebe in Wut und Hass, in Todeswunsch und in aufwühlende Versöhnungsarbeit mit sich selbst. Aufwühlend auch das leidvolle, abwehrende Verhältnis von Mutter und Tochter auf Grund eines doppelten Tabus.
M.W., Zürich


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Erschienen sind Kritiken in vielen kleineren Zeitungen, aber auch in grösseren, wie z.B. dem St. Galler Tagblatt. Leider haben die Literaturredaktion der beiden grössten Zeitungen des Landes, NZZ und TA, das Buch nicht besprochen. Zu wenig wichtig. Sie dachten wohl, wieder so eine Journalistin, die meint, sie müsse Bücher schreiben… Der NZZ-Redaktor hat gemeint, es sei zwar gut geschrieben, aber ihm persönlich etwas zu konstruiert. Der TA-Literaturchef hat es gar nicht erst gelesen.


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"Das Bild": http://www.xanthippe.ch/de/


Mittwoch, 1. Mai 2013

Verantwortung IST teilbar!

Nur damit's am Tag der Arbeit nicht ganz vergessen geht: Das "Frauenthema" bleibt aktuell. Ich frage mich, warum es mich gerade jetzt wieder so beschäftigt, obwohl mich sehr viele Anliegen der Frauen, die noch mitten im Berufs- und Familienleben stehen, gar nicht mehr betreffen. Aber ich ärgere mich zunehmend über die Tatsache, wie viele junge Frauen heute noch immer bereit sind, selbstverständlich zurückzustecken, wenn es um Kinder und Familie geht.
Sehen diese Frauen nicht, dass die Gleichstellung erst erreicht ist, wenn die absolute Gleichwertigkeit der weiblichen und der männlichen Bedürfnisse im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert ist? Wenn die weibliche Sicht genauso zählt, wie die männliche. Auch in der Wirtschaft. Wenn beide - Frau und Mann - tatsächlich die freie Entscheidung haben, wie sie ihr privates Familienleben gestalten wollen?
Davon sind wir noch meilenweit entfernt, auch wenn die SVP-Politikerin Nadja Pieren im gestrigen "Club" das Gegenteil behauptet hat. Dabei wäre doch gerade die SVP daran interessiert, dass die Frauen der Wirtschaft nicht entzogen werden. Schliesslich möchte sie ja keine Ausländer im Land...
Sicher. Seit der Zeit, als ich jung war, ist viel erreicht worden. Frauen sind heute besser ausgebildet, sie sind  - oder wären - heute auch gesetzlich deutlich besser abgesichert, die Infrastrukturen haben sich - zumindest in den Städten - verbessert. Wie die Politologin Michelle Beyeler jedoch richtig bemerkt hat, ist gerade die Tatsache, dass vieles schon erreicht worden ist, so brandgefährlich, weil sie denjenigen als Ausrede dient, die keine weitere Veränderung mehr wünschen. Meistens sind es die gleichen, denen schon das Erreichte zu weit geht. Und weil zu den konservativen Kreisen auch noch ein Grossteil der Männer hinzukommt, dazu die Wirtschaft, wo nach wie vor ausschliesslich männliche Vorstellungen die Argumentation beherrschen, und die nicht an Strukturen interessiert ist, wie sie Frauen bräuchten.
Nur ein kleines Beispiel dazu: Vorgestern Abend hatte ich eine Lesung. Auf meine kurze Zusammenfassung des Inhalts meines Romans sagte einer der anwesenden Männer. "Ach so, ein Frauenbuch..." Tatsächlich sind die Hauptprotagonistinnen im Buch Frauen. Es geht - unter anderem - um ihre für meine Generation exemplarischen Leben. Die Bemerkung des Mannes hatte diesen typisch abwertenden Tonfall: NUR ein Frauenbuch. Ich habe noch nie gehört, dass jemand gesagt hat es handle sich NUR um ein Männerbuch, wenn der oder die Hauptprotagonisten Männer waren.
Mit andern Worten, männlich ist relevant. In der konsequent weitergedachten Logik wäre weiblich also irrelevant.
Es macht mich wütend, dass diese Stereotypien nach wie vor tief verankert sind. Auch wenn das Gegenteil immer dann behauptet wird, wenn es um so genannt typisch weibliche Anliegen geht. Zum Beispiel, wenn es um Kinder geht. Frauen seien zur Kinderbetreuung besser geeignet. Das entspreche ihrer biologischen Disposition, heisst es. Aber die biologistische Theorie ist nicht nur eine Sackgasse, sie ist auch wissenschaftlich widerlegt. Und ausserdem: Männer kriegen auch Kinder! Sie tragen sie bloss nicht aus. Aber sie zeugen sie. Sie sind Väter. Und wenn sie die Gelegenheit dazu bekommen, können sie genau die gleiche Verbundenheit zum Säugling aufbauen wie eine Mutter.
Immer mehr Väter möchten das auch, aber ihre Bemühungen werden überall behindert. Von der Wirtschaft, von konservativen PolitikerInnen und - ganz besonders - durch religiös geprägte Bilder. Man sollte den starken Einfluss der Religion in dieser Frage nie ausser Acht lassen. Religion ist eine heilige Kuh. Stellt man sie in Frage, rührt man an einem Tabu. Aber es ist nicht zuletzt die Religion - welcher Couleur auch immer - welche die tief verankterten Bilder aus einer Gesellschaft zementiert, die es nicht mehr gibt.
Aber mal angenommen, ein junges Paar ist stark und selbstsicher genug, sich gegen diese gesellschaftlich und religiös verankerten Bilder zu stemmen und entschliesst sich, die Verantwortung für die Kinder zu teilen. Die Beiden werden es schwer haben. Denn neben den ökonomischen und/oder Karriere-Überlegungen, die häufig dagegen sprechen, dass beide zurückstecken, kommt hier eine weitere, in der männlich geprägten Wirtschaftswelt ebenso tief verankerten Stereotypie zum Tragen: Verantwortung sei nicht teilbar.
Kürzlich hat der Politologe Michael Hermann ein Loblied auf die Manager gesungen und sie für ihren 150prozentigen Einsatz bewundert, der ihnen den Schlaf raube. Meiner Ansicht nach müsste das nicht so sein.
1978 hat Esther Vilar ein kluges, heiss diskutiertes, aber letztlich in Bausch und Bogen als unrealistisch abgetanes Buch geschrieben über die Fünfstunden-Gesellschaft, in der ALLE, also alle Männer und alle Frauen je fünf Stunden berufstätig sind und sich in der Wirtschaft und zu Hause die Verantwortung teilen. Eine Utopie, wie sie ihre Theorie selber genannt hat. Für die Feministinnen war Vilar damals ein rotes Tuch, weil sie mit den Frauen gnadenlos ins Gericht ging und ihnen - oft zu Unrecht - die Hauptverantwortung für die gesellschaftlichen Verhältnisse zuschob. Vilars Bücher waren sehr polemisch. Bissig. Und jede Polemik enthält Schlagworte, die in ihrer Vereinfachung nicht stimmen. Aber im Grunde genommen wollte Vilar vor allem aufrütteln. Ihre Utopie einer Fünfstundengesellschaft mag idealistisch und naiv sein, aber sie wäre ein Ansatz, wie man die teilbare Verantwortung diskutieren könnte.
Heute ist die Wirtschaft gnadenlos. Das heisst, viele Männer hätten nicht nur Grund, sondern auch das Bedürfnis die Gesellschaft zu ändern. Männer, die die Verantwortung zu Hause und am Arbeitsplatz teilen möchten. Aber man lässt sie nicht. Weil Männer mit Teilzeitpensen nach wie vor benachteiligt sind und Teilzeitarbeit für die Karriereplanung ein Nachteil bedeutet.
So bleibt Vieles wie es ist, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. So bleibt auch der Grundsatz, Verantwortung sei nicht teilbar, eine Maxime, ohne dass sie ernsthaft hinterfragt würde. Weil sie vor allem dazu dient, Macht zu erhalten. Aber das ist ein anderes Thema. Das zwar ganz direkt mit dem Frauenthema zu tun hat, aber ein so grosses und umfassendes ist, dass ich es nur erwähnen kann, damit dieser Aspekt nicht vergessen geht.
Zurück zum "Club". Tatsächlich sind es hauptsächlich ökonomische Überlegungen, die dazu führen, dass meistens die Frau "zurücksteckt". Kommt hinzu, was Beyeler gestern gesagt hat: Es wird eben nicht von den Männern, resp. nicht - auch - von den Männern, sondern - nur - von den Frauen erwartet, dass sie sich zurücknehmen.
So lange die Ungleichheit bei den Löhnen nicht getilgt, so lange die nötigen Infrastrukturen nicht  genügend vorhanden sind, so lange vor allem die Männer ihre Karriere planen und so lange Mütter in der Wirtschaft nicht willkommen sind, so lange sind wir nicht am Ziel. Das Ziel wäre eine Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichwertig sind. In der es um Elternanliegen und nicht um Frauenanliegen geht, wenn ein Paar Kinder bekommt. Eine Gesellschaft, in der das Wohl der Kinder nicht davon abhängt, ob eine Frau zu Hause bleibt oder nicht, sondern davon, welche Bildungschancen eine Gesellschaft ihren Kindern und welche Chancen sie später ihren Erwachsenen bietet…
Es bleibt noch unendlich viel zu tun. Und wenn die Männer sich jetzt verunsichert fühlen, so bleibt auch für sie viel zu tun. Nicht im Sinne einer Rückeroberung, sondern im Sinne einer Weiterentwicklung zu einer Gesellschaft der geteilten Verantwortung, in der auch die Solidarität wieder Platz hat. Das wäre für mich die höchste Form der Demokratie…
Und weil das so ist, weil noch so viel zu tun ist, macht es mich auch wütend, wenn die Frauen ihre ureigensten Anliegen nicht sehen oder wenn sie nachgeben - des Friedens, der Liebe, der Familie oder worum auch immer. Denn wenn die Frauen nicht dran bleiben, besetzen sehr schnell die Männer wieder die Felder, die sie unfreiwillig abgegeben haben. Deshalb machen mich auch Frauen wütend, die über über feministische Anliegen auf eine unbedarfte Art polemisieren. Dazu mein Post zu einem Artikel von Brigit Schmid in einem TA-Magazin vom letzten Jahr: http://ladyc-unterwegs.blogspot.ch/2012/12/schluss-mit-dem-gequengel.html

Sonntag, 28. April 2013

Was ist Literatur?

Was ist Literatur? Auch so eine Frage, die mich Zeit meines Lebens beschäftigt hat, und die sich nicht abschliessend beantworten lässt. Jedenfalls nicht aus meiner Sicht.

Meine Definition als Konsumierende: Anders als Musik oder die bildende Kunst, ist Literatur anstrengend. Ich muss sie lesen. Ich muss sie verstehen. Auch im Theater. Wenn ich in ein Konzert, in ein Museum, in eine Fotoausstellung oder ins Kino gehe, kann ich schauen, kann zuhören und geniessen, kann emotional erleben, ohne mich damit intellektuell auseinandersetzen zu müssen.

Mit anderen Worten: Ein Maler kann malen, ohne darüber nachzudenken, ob man seine Kunst versteht. Wie ist das bei einem Literaturschaffenden?

Der Kanon der Literatur gehörte zu meiner Ausbildung, wir haben die wichtigen Bücher der Weltliteratur zerpflückt, ihre Sprache analysiert, wir haben sie interpretiert, wir haben den Inhalt in den jeweiligen Kontext gestellt, die Bedeutung und Allgemeingültigkeit herausgeschält. Trotzdem ist mir bis heute nicht klar, warum der eine Text als Literatur gilt, der andere, vielleicht ebenso relevante, gerade nicht. Oder umgekehrt gefragt: Warum gilt kluge, gut geschriebene «Trivialliteratur» (was für ein hässliches Wort!) nicht als Literatur im engeren Sinne? Warum macht man im deutschen Sprachraum diese Unterscheidung, die im Englischen nicht gilt?

Buchhändlerin bin ich nicht aus Liebe zur Literatur geworden, sondern, weil ich gerne lese und schreibe. Was als Literatur zu unserer Pflichtlektüre gehörte, war mir als junger Mensch – meistens – zu anstrengend oder besser: zu langweilig. Also las ich quer, dazu den Klappentext und ein bisschen Sekundärliteratur, die mich darüber aufklärte, worum es ging. Ich verliess mich auf das Urteil der Literaturgebildeten, die es ja wissen mussten. Ab und zu überraschte mich eines dieser Werke, weil es mich – wie man so schön sagt – plötzlich «hineingezogen» hat. Bei Kafka passierte mir das, bei Goethe nie, nur bei einzelnen Gedichten. Lieber mochte ich Satirisches, Ironisches und Selbstironisches, Sprachwitziges, Kästner, Tucholsky, Oscar Wilde. Noch heute beschränke ich mich auf das, was mich spontan anspricht. Proust wollte ich ein Leben lang lesen, habe es aber nie geschafft.

Wenn ich mir wieder mal ein Werk aus dem klassischen literarischen Olymp vornehme, bleibt es meistens bei der selbst auferlegten Anstrengung zwecks Bildungsambitionen, die mir als unerledigte Pendenz auf der Seele liegen. (Noch so ein Projekt für das Alter: Die klassische Literatur nachzulesen. Irgendwann. Später mal. Wenn ich nicht mehr mobil bin. Wobei: Vielleicht – nein, sicher sogar – spielt es dann ohnehin keine Rolle mehr, was ich je gelesen habe und was nicht.) Persönlich hat mich vor allem die jeweils aktuelle Literatur interessiert. Mein Schlüsselerlebnis in der Literatur war «Der menschliche Makel» von Philip Roth.

Also nochmals: Was ist Literatur?

Bei Wikipedia heisst es ziemlich holprig: «Die öffentliche Literaturdiskussion ist auf Werke ausgerichtet, denen Bedeutung als Kunst zugesprochen werden könnte, und die man im selben Moment von Trivialliteratur, von ähnlichen Werken ohne vergleichbare literarische, sprich künstlerische, Qualität, abgrenzt.»

Einfach ausgedrückt: Es gibt die Literatur als (sprachliche) Kunstform, der Rest ist trivial. (Trivial: Ohne Ideengehalt, wenig bedeutungsvoll, alltäglich, gewöhnlich, nichts Auffälliges aufweisend.) Diese Definition ist mir zu elitär.

Ich denke: Hinter jedem kreativen Schaffen steckt theoretisches Wissen und praktisches Können. In der Literatur wird ein Werk dann zur Kunst, wenn es Geist und Sinne gleichermassen anzusprechen vermag. Mit anderen Worten: Ein Werk mag intellektuell noch so brillant, sprachlich noch so schön oder so kunstvoll oder so einzigartig, es mag historisch oder politisch noch so relevant sein: Ohne die Empathie des Autors bleiben seine Figuren bloss exemplarisch, psychologisch nicht einschätzbar, künstlich. Lebendig, und damit nachvollziehbar, werden sie erst, wenn wir uns in sie und ihre Welt hineinversetzen können. Wer Shakespeare oder Dostojewski liest, lebt während des Lesens in einer anderen Zeit und lernt dabei, seine eigene besser zu verstehen. Das ist grosse Literatur.

Ich denke: «Grosse» Literatur ist Kunst. Sie ist wichtig und relevant. Aber noch wichtiger ist das Lesen. Wer nicht liest, verfällt dem Irrtum, seine eigene Welt als die einzig existierende und seine eigene Denkweise als die einzig richtige zu halten. Deshalb braucht es auch die kluge, für alle verständlich und gut geschriebene Trivialliteratur.

Womit wir wieder bei der Frage sind, ob Literaturschaffende beim Schreiben an ihre Leserschaft denken sollten. Ich meine, ja. Eine Ausnahme macht die Poesie, die literarische Kunstform, die ihre Aussage emotional vermittelt. Oder Dada, l’art pour l’art, wo das Verstehen überflüssig wird. Was wiederum ein Widerspruch in sich ist, denn Dada beinhaltet ebenfalls eine Aussage, nämlich die, sich vom traditionellen Kunst- und Literaturbetrieb zu unterscheiden.

Ich denke: Wie jede andere Kunstform ist die Literatur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Ausdruck der Zeit, in der sie entsteht. Aus der unsagbar grossen Menge an aktuell Geschriebenem wird zweifellos nur ein kleiner Teil auch in der Zukunft noch Bestand haben. Trotzdem: Viele Werke, die ihre Zeit nicht überleben, sind wichtige Auseinandersetzungen mit dem aktuellen Geschehen. Also lesenswert. Ob sie nun kunstvoll oder bloss trivial sind.

So sehe ich das.

Dienstag, 9. April 2013

Vernissage und erste Buchbesprechung

Meine gestrige Buchvernissage im Rahmen des Xanthippe-Jubiläums war in jeder Hinsicht ein gelungener Abend: gute Regie, angenehme Moderation, wunderschöne Musik. Ich bin noch immer total überwältigt, wen ich alles begrüssen durfte. Die grösste Überraschung hat mir allerdings mein 85jähriger Lehrer bereitet, der die Reise von Kehrsatz bei Bern nach Zürich unternommen hat, um sich von mir ein Buch signieren zu lassen. Für mich war das der absolute Höhepunkt.

 

Auch das Vorlesen hat bestens geklappt.
Entgegen meinen Befürchtungen hatte ich mich auf der Bühne unter Kontrolle. Womöglich stimmt, was die Leute sagen, nämlich, dass es genügend Lampenfieber im Voraus braucht, damit der Adrenalinspiegel hoch genug ist, um sich wirklich gut konzentrieren zu können.
 

 

 

Für den Xanthippe-Verlag war der Abend ebenfalls ein Erfolg. Insgesamt 400 Gäste aus allen Teilen der Schweiz, aus Deutschland und aus Oesterreich.
Yvonne-Denise Koechli gehört denn auch mein ganz grosser Dank. Sie ist eine Verlegerin mit Herzblut und scheut das Risiko nicht, auch unbekannte AutorInnen zu verlegen. Was in der heutigen Zeit ja weiss Gott keine Selbstverständlichkeit mehr ist, wie sie im Interview sagte: Früher hat der Verleger mit seiner Auswahl einen Qualitätsstandard gesetzt. Heute verstopfen die unzähligen Möchtegern-Buchautoren mit ihrem Selfpublishing den Buchkanal. Ich hoffe, dass sie noch sehr lange weitermacht und sich diesem Trend entgegenstellt.
Den exquisiten Rahmen der Veranstaltung schliesslich gestalteten Nicole Johänntgen (Saxophon) und David Beer (Gitarre) mit ihren wunderschönen Jazzeinlagen.