Freitag, 6. April 2012

Nerezine - Mali Lošinj, September 2009

Die sechsstündige Reise von Triest nach Nerezine auf Mali Lošinj ist umständlich und mühsam, mit einer langen Wartezeit in Rijeka. Ein erster Eindruck hier: Die Menschen sind nicht sehr freundlich. Der Mann am Schalter, den ich nach dem Katamaran frage, sieht mich an, als ob ich etwas Unanständiges gesagt hätte und antwortet ziemlich genervt, wahrscheinlich, weil ich ihn beim Lesen einer Zeitschrift gestört habe, er wisse nichts von einem Katamaran. Was natürlich nicht sein kann, denn die Anlegestelle befindet sich genau gegenüber der Busstation. Was ich da noch nicht weiss: Der Katamaran fährt an diesem Tag gerade nicht, aus technischen Gründen. Als ich von der Anlagestelle wieder zurück bin, um ein Ticket für den Bus und die Fähre zu lösen, die Alternative zum Katamaran, stellt es der unfreundliche Mann völlig gleichgültig und uninteressiert aus. Zu einem Lächeln kann er sich nicht durchringen. Auch der Chauffeur unseres Busses nicht, der bloss zuschaut, während sein Kollege die Koffer einlädt.

In Cres steigt der Chauffeur aus und sein Kollege setzt sich ans Steuer, während ein neuer Mann wiederum dessen Platz einnimmt. Der nun zum Chauffeur rotierte Ersatzmann wird jetzt plötzlich gesprächig, nachdem er vorher kein Wort verloren hat. Seit er am Steuer sitzt, spricht er andauernd mit seinem Kollegen und schaut dabei unablässig zu ihm nach rechts, egal ob die enge Strasse vor ihm gerade in einer Kurve verschwindet und nicht im Geringsten klar ist, ob dahinter ein Auto entgegenkommen wird oder nicht.

Aber alles geht gut und in Nerezine wartet Gigi mit Luna auf mich, einer süssen, anhänglichen und vollkommen vertrauensvoll dreinblickenden Strassenkreuzung zwischen Jagdhund und Cockerspaniel, mit buschigen Pfoten wie ein Jungtier, obwohl sie das nicht mehr ist, die mich enthusiastisch begrüsst, als ob sie mich sein Jahren kennte, dabei ist sie erst ein einziges Mal mit Gigi bei mir in Zürich gewesen.

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Nerezine ist ein bezauberndes, kleines Dorf. Anders, als ich mir vorgestellt hatte, ist es kein Ort, wo hauptsächlich Kroaten leben, sondern ein ausgewachsener Touristenort, glücklicherweise aber noch nicht zu mondän, sondern in seiner Ursprünglichkeit erhalten. Jetzt, im September, sind die meisten Gäste bereits weg und der Dorfplatz gehört wieder den Einheimischen. Die Häuser sind klein, verwinkelt und fast zierlich, hell, ocker, beige bis weiss gestrichen mit dunkelblauen, grünen oder rotbraunen Fensterläden. Dazwischen die geteerten Strässchen, genauso verwinkelt wie die Häuser selber, die in verwilderten Gärten stehen, in denen prachtvoll blühende Rhododendren und Akazien, Zypressen und Pinien und darunter allerlei kleinwüchsige Büsche und Blattpflanzen üppig spriessen.

Das Dorf ist sanft eingebettet in den Südhang des Hügels, der sich über die ganze Länge der Insel zieht, kleine, saubere Buchten mit wunderbar klarem, türkisgrün erscheinendem Wasser laden zum Baden ein, jede von ihnen bietet einen anderen Blick, entweder auf das offene Meer oder auf das gegenüberliegende Festland. Ich kann Gigi verstehen, dass sie hierher ausgewandert ist. Das Klima ist für ihr Rheuma offenbar ideal, sie hat weniger Schmerzen als in der Schweiz, mit Deutsch, Italienisch oder Englisch kann sie sich bestens verständigen, sie spricht auch schon ein bisschen Kroatisch, viele Touristen kommen aus Österreich und Deutschland und kaufen ihre Bilder.

Ihr Haus hat Gigi, wie schon in Vesin, in ein kleines Hexenhäuschen verwandelt, voller zusammengetragener Gegenstände von Brocantes und aus dem Sperrmüll: Alte Spiegel, Puppen, Bilder, Kerzenständer, alte Gläser. Sie hat Wände herausgebrochen und die Mauern teilweise stehen lassen, so sieht man beispielsweise aus der Küche wie durch ein Guckloch auf den etwas tiefer liegenden Wohnraum. Es ist gemütlich, originell, geschmackvoll, mit dem sicheren Instinkt und dem Auge einer Künstlerin eingerichtet, die aus allem etwas machen kann.

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Mali Lošinj, Hauptort der gleichnamigen Insel, ist ein kleines Hafenstädtchen, hübsch an den Hang gebaut, mit verwinkelten Gassen, Treppen, kleinen, eingemauerten Gärten und mit einer fast schon mondänen Promenade am Hafen, wo sich Bar an Restaurant an Hotel reihen, in denen die Sommergäste unter Baldachinen und Sonnenschirmen zwischen Palmen und Akanthen sitzen und sich zeigen. Obwohl Mali eigentlich bloss ein zum Städtchen angeschwollenes Dorf geblieben ist, geht man nach Mali Lošinj in die Stadt, weil alle wichtigen Geschäfte, Apotheken, Kleider- und Schuhläden und auch der Arzt, Tierarzt und Zahnarzt hier sind, ebenso das Spital.

Im Gegensatz zu Mali Lošinj, das dafür schon zu gross ist, macht das kleinere Veli Lošinj einen idyllischen Eindruck. Das Witzige dabei: Veli heisst gross, Mali heisst klein, wie mir Gigi erklärt. In Veli Lošinj ist offenbar das Klima besonders gut für Lungenkranke, jedenfalls kam die österreichische Kaiserin Sisi jeweils hierher zur Kur. Aus dieser Zeit stammt die allerliebste Villa Mozart, heute ein kleines Hotel, am Hang zum offenen Meer liegen die Bäderruinen, terrassierte Zement-Plateaus, wahrscheinlich für die Liegestühle angelegt, darunter im Meer mit Seilen abgegrenzte kleine Planschbecken. Ich stelle mir vor, wie sich die in gestreifte, ganze Badeanzüge gehüllten Herren und die Damen mit Spitzenhäubchen schnell die Füsse darin geschwenkt und kurz eingetaucht sind, um quietschend und auf Zehenspitzen gleich wieder aus dem Wasser zu jucken.

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Meine morgendliche Walkingtour führt mich heute von der Bucht, wo wir regelmässig schwimmen gehen, in den Pinienwald, wo eine weitläufige Blockhaus-Siedlung zum Vorschein kommt, eine sehr gepflegte Anlage, gut getarnt zwischen den Bäumen, vermutlich nicht teuer, aber bestens unterhalten. Die meisten Hütten sind jetzt, in der Nachsaison, verschlossen, an einigen ist ein Schild angebracht, das darauf hinweist, dass es sich um eine staatliche, slowenische Siedlung handelt. Offenbar ein Relikt aus kommunistischen Zeiten. Als ich Gigi frage, weiss sie, dass dort hinten eine Slowenensiedlung sei, aber die Kroaten gingen dort nicht hin, und die Slowenen wollten auch unter sich bleiben. Die alten Antipathien scheinen auch in der postkommunistischen Ära weiter zu bestehen.

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Erwacht bin ich um sieben Uhr, wie immer hier, es ist, als ob sich ein Rhythmus einstellen würde, zusammen mit den Vögeln im hochstämmigen Lorbeerbaum im Garten des Nachbarn, die im dichten Blätterdach ihre morgendliche Konferenz abhalten. Sie zu sehen ist unmöglich, aber ich höre ihr aufgeregtes Gezwitscher und Geflatter und frage mich, was sie sich wohl zu sagen haben.

Der Lärm des Baggers stört, der hier ganz in der Nähe das steinige Gelände aushebt, die Gemeinde will dort weitere Ferienwohnungen bauen. Nebenan in der Werft, dem wichtigsten Arbeitgeber im Dorf, sind sie am Schleifen oder am Sägen, der hohe durchdringende Ton ist fast noch störender als der laute Bagger. Trotzdem will ich nicht klagen. Es ist im Grunde genommen ideal hier. Jedenfalls geht das Schreiben ganz gut. Ich komme vorwärts. Das ist das Wichtigste. Deshalb bin ich hier.

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