Montag, 30. November 2009

Hat "das Volk" immer Recht?

Nun soll also das Bauverbot für Minarette in die Bundesverfassung. Wie absurd! Niemals hätte ich ein solches Abstimmungsergebnis erwartet, im Gegenteil, ich war ganz sicher, dass nur die fundamentalistischen Frömmler, die eingeschworenen Parteigänger der SVP, der braune Block ganz rechts und vielleicht noch ein paar Überängstliche die Initiative unterstützen würden. Ich war ganz - na ja, sagen wir ziemlich - sicher, dass die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer intelligent und vernünftig genug sein würde zu erkennen, dass ein Minarett-Verbot keine Probleme löst, sondern nur neue schafft.
Warum diese Initiative überhaupt als rechtsgültig erklärt wurde, war mir nie ganz klar. Natürlich verbietet sie nicht, Moscheen zu bauen und sie hindert die Moslems auch nicht daran, ihren Glauben auszuüben; so gesehen verstösst sie tatsächlich nicht gegen die Glaubensfreiheit, wie ihre Befürworter betonen. Hinzu kommt, dass von islamischer Seite stets bestätigt wurde, dass ein Minarett für die Ausübung des Glaubens nicht zwingend sei.
Trotzdem wäre meiner Meinung nach das Argument zu rechtfertigen gewesen, die Initiative sei diskriminierend und verletze die Menschenrechtskonvention und sei deshalb letztlich nicht umsetzbar. Ganz abgesehen davon, dass ein Bauverbot schlicht und ergreifend nicht in eine Bundesverfassung gehört. Zwar hätte der Bundesrat mit der Ungültigkeitserklärung eine heftige - und wie sich zeigt auch dringend nötige - politische Diskussion ausgelöst und sich dem Druck von rechts ausgesetzt, aber er hätte den Schaden wenigstens in Grenzen gehalten (auch wörtlich). Denn abgesehen vom (weiteren) weltweiten Imageschaden, den die Schweiz jetzt erleidet, ist die Intitiative zutiefst undemokratisch und untergräbt das Fundament unseres Staatswesens, nämlich den Schutz von Minderheiten und Andersdenkenden. Damit richtet sie sich genau gegen diejenigen Grundwerte, auf die sich gerade die Befürworter der Initiative gerne berufen: gegen Freiheit, Toleranz und gleiches Recht für alle. Auch wenn die Initianten sich jetzt beeilen, das Gegenteil zu beteuern: Letztlich war ihr Vorstoss gegen die Moslems gerichtet. Mit andern Worten, gegen eine Minderheit im Land. Wer kommt als nächstes dran: wieder die Juden, oder die Schwulen?
Ich kann die Aengste oder das Unbehagen im Volk durchaus nachvollziehen. Ich mag den fundamentalistischen Islam auch nicht. Ich ärgere mich auch über rückständige, frauenfeindliche Gesetze (die es übrigens in der katholischen Kirche und anderen männerbündischen Organisationen der westlichen Welt ebenfalls nach wie vor gibt). Ich bin auch empört über die Tatsache, dass in gewissen islamistischen Ländern Frauen ungestraft geschlagen, gedemütigt und als rechtlose Wesen zweiter Klasse behandelt werden können. Und mir fehlt die klare Stellungnahme der gemässigten oder liberalen Moslems ebenfalls, die sich von diesen Erscheinungsformen des Islam distanzieren. Ich erwarte von ihnen auch ein deutlicheres Bekenntnis zu den Gesetzen unseres Landes, die eine Scharia - auch eine Teilscharia - ausschliessen und den Frauen die Gleichberechtigung garantieren.
Viele der parteipolitisch ungebundenen Wählerinnen und Wählern, die ein Ja in die Urne gelegt haben, begründen dieses mit der Angst vor einer schleichenden Islamisierung. Sie reagieren damit auf die zunehmende Einwanderung aus islamischen Ländern. Ich bestreite nicht, dass es unter den Zugewanderten auch Hassprediger geben könnte, auch ich habe schon mit unbelehrbaren Fundamentalisten gestritten (übrigens egal welchen Ursprungs) oder bin dümmlichen Machos begegnet, die nicht begreifen, dass unsere Gesetze auch für sie gelten. Über sie ärgere ich mich genauso. Aber sie sind die Ausnahme und sicher keine Gefahr. Schon gar nicht für unsere Identität. Die einzige reale Gefahr stellt der politisch motivierte islamistische Terror dar, der auch in mir gewisse Aengste auslöst, weil er weltweit vernetzt und unfassbar ist und somit jederzeit und überall zuschlagen könnte. Auch bei uns. Jetzt erst recht.
Es gibt gerade mal vier Minarette in der Schweiz. Da jeder Bau eine behördliche Bewilligung braucht, wären die Türme auch in Zukunft nicht wie Raketen aus dem Boden geschossen, wie das Plakat der Initianten suggerierte. Fragt sich also, warum das Thema überhaupt diese Bedeutung erlangen konnte. Meine böse Vermutung: Es waren vor allem taktische Gründe. Die SVP drohte an Kraft zu verlieren. Indem sie die politische Diskussion in gewohnt populistischer Manier anheizte, gewann sie ihr wichtigstes Thema, die Ausländerpolitik, zurück und konnte ihr verblassendes Profil neu schärfen.
Den Initianten war sicherlich bewusst, dass ein Minarettverbot kein einziges Problem löst; vom deutlichen Sieg sind sie wahrscheinlich selber überrascht. Wobei ich mich frage, ob ihnen darob der Verstand gleich ganz abhanden gekommen ist, wenn sie als nächstes fordern, das Gesetz sei buchstabengetreu umzusetzen, selbst wenn sich zeigen sollte, dass es übergeordnetes Recht, etwa das Völkerrecht, verletzt. Sie verlangen gar, dass internationale Abkommen, etwa die Menschenrechtskonvention, gekündigt werden müssten, falls es nicht anders gehe.
Da fragt man sich: Auf welchem Planeten leben sie denn? Wollen sie zurück in die totale Isolation, sozusagen als die sieben Zwerge hinter den sieben Bergen? Wohl kaum! Glauben sie tatsächlich, sie könnten das Rad der Welt soweit zurückdrehen, bis die Welt - oder zumindest die Schweiz - ihrer idealisierten Vorstellung entspricht? Wohl kaum! Glauben sie tatsächlich, sie könnten "den Fünfer und das Weggli" für die Schweiz bekommen ohne Zugeständnisse zu machen? Wohl kaum! Die Frage muss deshalb anders gestellt werden: Wie hoch darf eine SPV aus parteitaktischen Gründen pokern ohne die Schweiz ernsthaft zu gefährden?
Die Justizministerin Widmer-Schlumpf wurde im Zusammenhang mit dem Abstimmungsresultat gefragt, ob das Volk immer Recht habe. Sie wich der Frage geschickt aus und sagte, was PolitikerInnen in solchen Situationen immer sagen, nämlich, dass der Volksentscheid zu respektieren sei. Der Rechtspolitiker Hans Fehr antwortete auf die gleiche Frage, das Volk habe nicht immer Recht, aber es habe den letzten Entscheid. Und das sei das Entscheidende. Auch das ist keine Antwort, sondern bloss eine rhetorische Floskel.
Nein, "das Volk" hat nicht immer Recht. Wenn ein Staat nicht mehr in der Lage ist, Minderheiten gegen Diskriminierung und Ausgrenzung zu schützen, läuft ganz sicher etwas falsch. Meistens verteidige ich das direktdemokratische System mit Überzeugung, auch wenn ich bei Abstimmungen nicht immer auf der Seite der Mehrheit stehe. Damit kann ich leben. Für dieses jüngste Resultat jedoch schäme ich mich. Nicht wegen der Ängste, die man erst nehmen soll, sondern wegen der Gedankenlosigkeit auf allen Ebenen, die hier zum Ausdruck gekommen ist.

1 Kommentar:

  1. Gebe dir völlig Recht.
    Stimmen heisst auch Verantwortung übernehmen. Sonst funktioniert die direkte Demokratie nicht.
    Ein sehr trauriges Beispiel, welches das hässliche Gesicht der Direktdemokratie zum Vorschein bringt.

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