Samstag, 12. September 2020

Gleiche Bildungschancen für alle

Was unternehmen mit den Kindern? Ich kenne das Dilemma. Auch als Grossmutter. Wenn ich vergleiche mit früher, dann staune ich manchmal, wie vielfältig heute das Angebot ist. Meine Eltern haben höchst selten etwas mit uns unternommen. Ausser Spazieren in der Umgebung. Immerhin fuhren wir jedes Jahr einmal in die Ferien. Und ich bin in einem Haus mit Garten aufgewachsen, genauso wie Marcel, dessen Radius dadurch grösser war, als der von Kindern, die in engen Verhältnissen mit wenig Anregungen aufwachsen.

Trotzdem: Manchmal dünkt mich schon, heute werde alles den Kindern untergeordnet. Was macht das aus ihnen? Werden sie zu kleinen Egoisten erzogen, die alles haben können, sobald sie es sich wünschen – oder verlangen? Was macht das mit ihrem Durchhaltevermögen? Mit ihrer Toleranzschwelle? Mit ihrer Aufnahmefähigkeit? Mit ihrer Resilienz?

Dass Kinder heute besser gefördert werden und ihre Persönlichkeit eigenständiger entwickeln können, ist ohne Zweifel ein Fortschritt. Auch wenn das nach wie vor nur für diejenigen gilt, die sich das leisten können oder deren Eltern die Bildung als wichtigste Voraussetzung für die Zukunft ihrer Kinder erkennen. Nicht alle tun oder können das, wie man weiss. Sei es aus sozialen, aus kulturellen, politischen oder religiösen Gründen.

Gleiche Bildungschancen für alle ist wahrscheinlich die wichtigste politische Forderung überhaupt. Dazu passend das Zitat, das ich erst kürzlich per Zufall im TA gelesen habe: «Wenn du erst lesen gelernt hast, wirst du für immer frei sein.» Es stammt vom US-amerikanischen Schriftsteller Frederick Douglass, der im 19. Jahrhundert gegen die Sklaverei kämpfte. Gleiche Bildungschancen müsste das zentrale Anliegen jeder Gesellschaft sein, auch im Sinne einer echten demokratischen Gesellschaft mit gleichen Chancen, gleichen Rechten und gleichen Pflichten für alle. Aber davon sind wir noch weit entfernt. Und im Moment sieht es sogar danach aus, als ob immer weniger Menschen wüssten, was Demokratie bedeutet.

Ich denke: Aufklärung, Demokratie und die Erklärung der Menschenrechte sind die drei bedeutendsten zivilisatorischen Errungenschaften. Wenn wir sie relativieren und sie verhandelbar werden, können sie sehr schnell usurpiert und in ihr Gegenteil verkehrt werden. Darüber sollte man reden. Immer und immer wieder. Meine wichtigste (politische) Gesprächspartnerin war Irene, meine wichtigsten Gesprächspartner waren Res und Walter. Sie sind nicht mehr. Jetzt diskutiere ich sehr oft mit meinem Bruder Hansruedi, Hani, wie ich ihn seit meiner Kindheit nenne, oder HRI, wie er heute unterschreibt. Wir sind politisch nicht exakt auf einer Linie, aber beide überzeugte, liberal denkende Demokraten. Ob etwas mehr links oder etwas mehr rechts, spielt dabei keine Rolle.

So sehe ich das.

 

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