Samstag, 12. September 2020

Bloss Durchschnitt

Reicht es als Daseinsgrund, etwas nur für sich zu tun?

Das habe ich mich oft gefragt in meinem Leben. Natürlich hatte ich meine Familie, für die ich mich engagierte, meinen Beruf, meine Verpflichtungen, meine Interessen. Natürlich habe ich mich immer wieder mal für jemanden oder für etwas eingesetzt. Finanziell, schriftlich, mündlich. Aber nie physisch. Ich werde nie etwas Ausserordentliches geleistet haben, wie zum Beispiel eigenhändig eine Schule in Nepal zu bauen, auf 3000 Metern Höhe, wie Miriam, oder mich unermüdlich für Flüchtlinge einzusetzen, wie Maja es bis zur Erschöpfung getan hat, bis sie zusammengebrochen und gestorben ist. Es gibt so viele Möglichkeiten, etwas für das Gemeinwohl zu tun, freiwillig, unentgeltlich, selbstlos, beispielsweise schwerkranken Kindern im Spital Gesellschaft zu leisten, wie Nanette, oder junge Migrantinnen und Migranten zu unterrichten, wie Franziska. Ich habe davor grosse Achtung, aber ich weiss: Ich kann es nicht. Jedenfalls nicht als ständige Verpflichtung.

Ich bin kein besonders altruistischer Mensch. Ich spende, was mir möglich ist, bin Mitglied in gemeinnützigen und Umweltschutz-Organisationen, habe ab und zu mal ein paar Stunden physischen Einsatz an einem Rotary-Anlass geleistet, mit dem wir Geld für gemeinnützige Zwecke sammelten. Aber das ist schon alles. Wenn ich mich für ein gesellschaftliches oder politisches Anliegen einsetze, dann wähle ich den Weg des geringsten Widerstandes. Ich zahle. Oder schreibe. Und werfe den Stimmzettel ein.

Ich wäre auch niemals so mutig, wie diese bewundernswürdigen Frauen, die in männerdominierten, machistischen oder rückständig religiösen Gesellschaften für ihre Rechte kämpfen und diesen Kampf oft mit dem Leben bezahlen. Oder wie oppositionelle Politikerinnen, Künstlerinnen oder politische Demonstrantinnen in einer Diktatur. Oder wie die Journalistinnen und Journalisten, die der Korruption auf der Spur sind und von ihren Gegnern verfolgt, gefoltert und umgebracht werden, meist sogar im geheimen Auftrag des Staates. Im meiner Jugend ging ich an die Demos der 68er, 1991 war ich am Frauenstreik, 2019 an der Klimademo und am Frauenstreik, aber da ist man unter vielen Gleichgesinnten, das ist nicht mutig. Schon gar nicht in einem Staat, der das Recht zu demonstrieren schützt.

Dante würde mich in der Vorhölle der lauen Seelen verorten. Auch damit musste ich mich irgendwann im Leben abfinden.

 

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen