Sonntag, 28. April 2013

Was ist Literatur?

Was ist Literatur? Auch so eine Frage, die mich Zeit meines Lebens beschäftigt hat, und die sich nicht abschliessend beantworten lässt. Jedenfalls nicht aus meiner Sicht.

Meine Definition als Konsumierende: Anders als Musik oder die bildende Kunst, ist Literatur anstrengend. Ich muss sie lesen. Ich muss sie verstehen. Auch im Theater. Wenn ich in ein Konzert, in ein Museum, in eine Fotoausstellung oder ins Kino gehe, kann ich schauen, kann zuhören und geniessen, kann emotional erleben, ohne mich damit intellektuell auseinandersetzen zu müssen.

Mit anderen Worten: Ein Maler kann malen, ohne darüber nachzudenken, ob man seine Kunst versteht. Wie ist das bei einem Literaturschaffenden?

Der Kanon der Literatur gehörte zu meiner Ausbildung, wir haben die wichtigen Bücher der Weltliteratur zerpflückt, ihre Sprache analysiert, wir haben sie interpretiert, wir haben den Inhalt in den jeweiligen Kontext gestellt, die Bedeutung und Allgemeingültigkeit herausgeschält. Trotzdem ist mir bis heute nicht klar, warum der eine Text als Literatur gilt, der andere, vielleicht ebenso relevante, gerade nicht. Oder umgekehrt gefragt: Warum gilt kluge, gut geschriebene «Trivialliteratur» (was für ein hässliches Wort!) nicht als Literatur im engeren Sinne? Warum macht man im deutschen Sprachraum diese Unterscheidung, die im Englischen nicht gilt?

Buchhändlerin bin ich nicht aus Liebe zur Literatur geworden, sondern, weil ich gerne lese und schreibe. Was als Literatur zu unserer Pflichtlektüre gehörte, war mir als junger Mensch – meistens – zu anstrengend oder besser: zu langweilig. Also las ich quer, dazu den Klappentext und ein bisschen Sekundärliteratur, die mich darüber aufklärte, worum es ging. Ich verliess mich auf das Urteil der Literaturgebildeten, die es ja wissen mussten. Ab und zu überraschte mich eines dieser Werke, weil es mich – wie man so schön sagt – plötzlich «hineingezogen» hat. Bei Kafka passierte mir das, bei Goethe nie, nur bei einzelnen Gedichten. Lieber mochte ich Satirisches, Ironisches und Selbstironisches, Sprachwitziges, Kästner, Tucholsky, Oscar Wilde. Noch heute beschränke ich mich auf das, was mich spontan anspricht. Proust wollte ich ein Leben lang lesen, habe es aber nie geschafft.

Wenn ich mir wieder mal ein Werk aus dem klassischen literarischen Olymp vornehme, bleibt es meistens bei der selbst auferlegten Anstrengung zwecks Bildungsambitionen, die mir als unerledigte Pendenz auf der Seele liegen. (Noch so ein Projekt für das Alter: Die klassische Literatur nachzulesen. Irgendwann. Später mal. Wenn ich nicht mehr mobil bin. Wobei: Vielleicht – nein, sicher sogar – spielt es dann ohnehin keine Rolle mehr, was ich je gelesen habe und was nicht.) Persönlich hat mich vor allem die jeweils aktuelle Literatur interessiert. Mein Schlüsselerlebnis in der Literatur war «Der menschliche Makel» von Philip Roth.

Also nochmals: Was ist Literatur?

Bei Wikipedia heisst es ziemlich holprig: «Die öffentliche Literaturdiskussion ist auf Werke ausgerichtet, denen Bedeutung als Kunst zugesprochen werden könnte, und die man im selben Moment von Trivialliteratur, von ähnlichen Werken ohne vergleichbare literarische, sprich künstlerische, Qualität, abgrenzt.»

Einfach ausgedrückt: Es gibt die Literatur als (sprachliche) Kunstform, der Rest ist trivial. (Trivial: Ohne Ideengehalt, wenig bedeutungsvoll, alltäglich, gewöhnlich, nichts Auffälliges aufweisend.) Diese Definition ist mir zu elitär.

Ich denke: Hinter jedem kreativen Schaffen steckt theoretisches Wissen und praktisches Können. In der Literatur wird ein Werk dann zur Kunst, wenn es Geist und Sinne gleichermassen anzusprechen vermag. Mit anderen Worten: Ein Werk mag intellektuell noch so brillant, sprachlich noch so schön oder so kunstvoll oder so einzigartig, es mag historisch oder politisch noch so relevant sein: Ohne die Empathie des Autors bleiben seine Figuren bloss exemplarisch, psychologisch nicht einschätzbar, künstlich. Lebendig, und damit nachvollziehbar, werden sie erst, wenn wir uns in sie und ihre Welt hineinversetzen können. Wer Shakespeare oder Dostojewski liest, lebt während des Lesens in einer anderen Zeit und lernt dabei, seine eigene besser zu verstehen. Das ist grosse Literatur.

Ich denke: «Grosse» Literatur ist Kunst. Sie ist wichtig und relevant. Aber noch wichtiger ist das Lesen. Wer nicht liest, verfällt dem Irrtum, seine eigene Welt als die einzig existierende und seine eigene Denkweise als die einzig richtige zu halten. Deshalb braucht es auch die kluge, für alle verständlich und gut geschriebene Trivialliteratur.

Womit wir wieder bei der Frage sind, ob Literaturschaffende beim Schreiben an ihre Leserschaft denken sollten. Ich meine, ja. Eine Ausnahme macht die Poesie, die literarische Kunstform, die ihre Aussage emotional vermittelt. Oder Dada, l’art pour l’art, wo das Verstehen überflüssig wird. Was wiederum ein Widerspruch in sich ist, denn Dada beinhaltet ebenfalls eine Aussage, nämlich die, sich vom traditionellen Kunst- und Literaturbetrieb zu unterscheiden.

Ich denke: Wie jede andere Kunstform ist die Literatur ein Spiegelbild der Gesellschaft. Ausdruck der Zeit, in der sie entsteht. Aus der unsagbar grossen Menge an aktuell Geschriebenem wird zweifellos nur ein kleiner Teil auch in der Zukunft noch Bestand haben. Trotzdem: Viele Werke, die ihre Zeit nicht überleben, sind wichtige Auseinandersetzungen mit dem aktuellen Geschehen. Also lesenswert. Ob sie nun kunstvoll oder bloss trivial sind.

So sehe ich das.

Dienstag, 9. April 2013

Vernissage und erste Buchbesprechung

Meine gestrige Buchvernissage im Rahmen des Xanthippe-Jubiläums war in jeder Hinsicht ein gelungener Abend: gute Regie, angenehme Moderation, wunderschöne Musik. Ich bin noch immer total überwältigt, wen ich alles begrüssen durfte. Die grösste Überraschung hat mir allerdings mein 85jähriger Lehrer bereitet, der die Reise von Kehrsatz bei Bern nach Zürich unternommen hat, um sich von mir ein Buch signieren zu lassen. Für mich war das der absolute Höhepunkt.

 

Auch das Vorlesen hat bestens geklappt.
Entgegen meinen Befürchtungen hatte ich mich auf der Bühne unter Kontrolle. Womöglich stimmt, was die Leute sagen, nämlich, dass es genügend Lampenfieber im Voraus braucht, damit der Adrenalinspiegel hoch genug ist, um sich wirklich gut konzentrieren zu können.
 

 

 

Für den Xanthippe-Verlag war der Abend ebenfalls ein Erfolg. Insgesamt 400 Gäste aus allen Teilen der Schweiz, aus Deutschland und aus Oesterreich.
Yvonne-Denise Koechli gehört denn auch mein ganz grosser Dank. Sie ist eine Verlegerin mit Herzblut und scheut das Risiko nicht, auch unbekannte AutorInnen zu verlegen. Was in der heutigen Zeit ja weiss Gott keine Selbstverständlichkeit mehr ist, wie sie im Interview sagte: Früher hat der Verleger mit seiner Auswahl einen Qualitätsstandard gesetzt. Heute verstopfen die unzähligen Möchtegern-Buchautoren mit ihrem Selfpublishing den Buchkanal. Ich hoffe, dass sie noch sehr lange weitermacht und sich diesem Trend entgegenstellt.
Den exquisiten Rahmen der Veranstaltung schliesslich gestalteten Nicole Johänntgen (Saxophon) und David Beer (Gitarre) mit ihren wunderschönen Jazzeinlagen.