Montag, 19. November 2012

Offener Brief an Roger Köppel

Lieber Roger Köppel
Im heutigen Tagi schreiben Sie: „Das Geschäftsmodell der ,Weltwoche‘ ist die Wirklichkeit.“
Ich dachte, ich lese nicht richtig. Wie kann ein gebildeter, intellektueller Mensch wie Sie im Ernst eine so unbedarfte Äusserung machen, die den Widerspruch geradezu herausfordert, und das nicht nur im philosophischen Sinne?
Wenn Sie geschrieben hätten: die Weltwoche beschreibt eine Wirklichkeit, wie wir Journalistinnen und Journalisten der ,Weltwoche‘ sie als richtig befinden,  oder: die ,Weltwoche‘ beschreibt eine Wirklichkeit, wie ein grosser Teil der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land sie sieht, dann hätte man ihre Replik auf den Essay von Constantin Seibt ernst nehmen können.
Aber mit diesem letzten Satz disqualifizieren Sie sich selber.
Sie wissen also, was Wirklichkeit ist? Tatsächlich?
Dann gehen wir doch dieser „Wirklichkeit“ mal auf den Grund, indem wir Ihre Äusserungen Punkt für Punkt betrachten, im Sinne einer „verständnisorientierten Diskussion“, wie das so schön heisst.
Sie schreiben, die Weltwoche setze auf Fakten, und als Beweis listen Sie auf, was die Weltwoche „aufgedeckt“ habe. Ich will Ihre Meriten im einen oder anderen Fall gar nicht anzweifeln. Sie machen, was jede andere Zeitung auch macht: Sie recherchieren und decken Missstände auf, dort wo sie Sie vermuten. Sie vermuten sie allerdings auffällig oft genau dort, wo ausgerechnet die SVP sie auch vermutet. Zufall?
Ich unterstelle Ihnen nicht, Sie würden nicht recherchieren, aber wie das bei anderen Zeitungen eben auch so ist, basieren viele dieser sogenannten Recherchen letztlich auf Indiskretionen einer bestimmten Seite, die daran interessiert ist, dass über einen tatsächlichen oder angeblichen Missstand geschrieben wird. In dieser Beziehung sind Sie absolut keine Ausnahme.
Sie erwähnen den Fall Zuppiger. Wahrscheinlich um zu zeigen, wie unabhängig sie von der SVP sind. Für mich ist aber gerade dieses Beispiel ein Hinweis auf meine Vermutung, wie sehr die Weltwoche sich von der SVP instrumentalisieren lässt. Als bekannt wurde, dass Zuppiger für den Bundesrat kandidiert, habe ich einen Moment die Welt nicht mehr verstanden. Ich habe mich gefragt, wie es sein kann, dass der nach wie vor übermächtige Christoph Blocher dies zulässt. Einen Mann wie Zuppiger, der nicht unbedingt Blochers Gusto entsprach, wie man weiss, und von dem dieser mit Sicherheit wusste, dass die Medien irgendwann die Unterschlagungs-Geschichte aufgreifen würden, die ja früher bereits mal Thema in den Medien war. Was konnte also der Grund sein? Für mich gibt es nur eine Möglichkeit. Zuppiger war das Bauernopfer, mit dem man gleich zwei Fliegen auf einen Schlag erledigen konnte. Erstens war der ungeliebte Zuppiger ein für allemal ausgeschaltet und zweitens bekam die Weltwoche damit ihr weisses Mäntelchen verpasst.
Das entspreche nicht der Wirklichkeit, werden Sie jetzt sagen. Sind Sie sich so sicher?
Sie schreiben, wenn Seibt von „Fakten“ schreibe, meine er sich selbst. Gilt das nicht mindestens im gleichen Mass auch für Sie?
Sie bezeichnen Seibt als den Gralshüter des „Mainstreams“, unter dem Sie die „zufällig von einer Mehrheit der Journalisten für wahr gehaltene Beschreibung aktueller Themen“ verstehen. Mal abgesehen davon, dass der Begriff „Wahrheit“ in diesem Zusammenhang arg strapaziert wird, so stört mich in dieser Äusserung vor allem die Selbstgefälligkeit, mit der Sie offenbar für sich in Anspruch nehmen, im Besitz dieser sogenannten Wahrheit zu sein.
Sie schreiben: „Sie (die Journalisten) sind für Obama und gegen Romney, für Widmer-Schlumpf und gegen Blocher, für den Atomausstieg und gegen den menschengemachten Klimawandel, wobei sich die letzteren beiden Ansätze widersprechen, was aber keine Rolle spielt, weil es die Mehrheit ähnlich sieht und deshalb nicht so genau hinschaut.“
Mit andern Worten: Man muss gegen Obama und für Romney sein, gegen Widmer-Schlumpf und für Blocher, gegen den Atomausstieg und für den menschengemachten Klimawandel (sic!), (sagen Sie mir mal, wie Sie das genau meinen...).
Wer die Wirklichkeit so sieht, wie Sie, ist also auf der Seite der Wahrheit?
Es sei Ihnen unbenommen, Romney als den besseren Präsidenten zu sehen oder Widmer-Schlumpf zum Feindbild zu machen. Sie können gerne gegen den Atomausstieg sein und den Klimawandel als Tatsache anerkennen oder nicht. Aber bitte, nehmen Sie nicht für sich in Anspruch, Sie seien im Besitz der Wahrheit. Was Sie vertreten ist eine politische Meinung  - und zwar eine eindeutige, zumindest das muss man Ihnen lassen. Richtig ist, dass guter Journalismus nicht darin besteht, immer das zu bestätigen, was die Mehrheit, was das journalistische und politische Establishment für die Wahrheit halten. Aber wenn Sie gleich darauf schreiben, ein Journalist, der seinen Job gut mache, müsse die Einsamkeit aushalten, in der er sich manchmal hineinschreibe, dann kommen wir doch tatsächlich die Tränen.
Das erinnert mich ganz stark an die Mission vom rechten und falschen Weg auf dem Wandbild der Familie Blocher. Wissen Sie eigentlich, dass Sie auf dem besten Weg sind, Mitglied einer Sekte zu werden?
Sie rollen weiter den Fall Hildebrand auf und brüsten sich mit den Fakten, welche die „Weltwoche“ aufgedeckt habe. Mit Verlaub. Die „Weltwoche“ war das Sprachrohr für einen Coup, der längst vorbereitet gewesen war. Brüsten Sie sich also nicht mit einer Leistung, die - genau besehen - keine besondere war. Nicht einmal in publizistischer Hinsicht. Denn mit der Veröffentlichung haben Sie wiederum ihr eigenes Publikum bestens bedient. Dafür braucht es keinen Mut.
Sie bezeichnen Constantin Seibt als „Meinungsjournalist“. Ja Herrgott! Was sind SIE denn???
Dann schreiben Sie, die „Weltwoche“ verfolge keine politische Mission, sondern pflege das journalistische Handwerk der Recherche und des kritischen Hinterfragens usw. Lieber Roger Köppel, das machen alle ernsthaften Journalisten in allen Medien. Dass es die Anderen auch gibt, darin sind wir uns einig. Trotzdem hat ihr Selbstlob in diesem Zusammenhang schon fast etwas Lächerliches, wäre es nicht so anmassend.
Sie schreiben, die „Weltwoche“ setze sich, auf der Grundlage von Fakten, bewusst für die urdemokratische Tugend der Meinungsvielfalt ein, weil es in einer Demokratie schlecht herauskomme, „wenn alle das Gleiche schreiben, denken und sagen“.
In diesem Punkt gebe ich Ihnen Recht. Schreiben Sie in der Weltwoche, was Sie für richtig empfinden. Das trägt zur politischen Diskussion und zur Meinungsbildung bei. Es ist dabei Ihr gutes Recht, eine politische Haltung zu vertreten, die ganz offensichtlich nicht derjenigen der Mehrheit dieses Volkes, sondern laut Wahlen bloss rund 30 Prozent der stimmberechtigten Bevölkerung entspricht.
Und schliesslich noch zum politischen Journalismus. Sie schreiben, dieser bedeute Skepsis, Misstrauen und die Kunst des fundierten Zweifels in Gestalt der Recherche. Richtig. Dann zweifeln Sie aber bitte auch an der eigenen Sicht der Dinge. Erst das macht Sie wirklich glaubwürdig.
Das Geschäftsmodell der „Weltwoche“ sei die Wirklichkeit, schreiben Sie. Lieber Herr Köppel, es handelt sich dabei lediglich um IHRE Wirklichkeit. Meine ist eine andere.

Sonntag, 11. November 2012

More than Honey

„It sounds money“, kommentiert der amerikanische Imker genüsslich das Summen der Bienen. Treffender hätte er sein Verhältnis zu seiner industriell betriebenen Imkerei nicht beschreiben können. Dass dabei ganze Bienenvölker elendiglich zu Grunde gehen, dass ihr Immunsystem durch Stress, Viren und andere Krankheiten geschädigt wird, was irgendwann zum Aussterben der Bienen führen wird, wenn kein Umdenken passiert, das nimmt er bedauernd in Kauf. Schliesslich geht‘s um Geld.
Um Geld geht es auch dem Mandelzüchter, der seine Monoplantagen tagsüber mit Gift spritzen lässt, genau dann, wenn die Bienen von Blüte zu Blüte fliegen und für seine reiche Ernte sorgen. Würde er sein Gift nachts versprühen, wären die Bienen wenigstens nicht unterwegs, das Sterben wäre nicht so brutal und ein Teil der Bienen könnte gesund überleben. Zum Segen der Menschen. Aber so weit zu denken ist offenbar eine zu grosse intellektuelle Herausforderung. Wahrscheinlicher ist jedoch die Annahme, dass diesen beiden erfolgreichen Geschäftsherren die Welt egal ist, die sie hinterlassen werden. Hauptsache, sie verdienen gutes Geld. Jetzt. „We are capitalists“, sagt der Imker. Lachend.
Was passiert, wenn die Bienen von Pestiziden und Isektiziden ausgerottet sind, zeigt die Sequenz über eine Gegend in China. Die Blüten werden dort von Hand gesammelt, deren Pollen extrahiert, in Päckchen verpackt und an die Landwirtschaft verkauft, wo wiederum ganze Armeen von LandarbeiterInnen unterwegs sind mit ihren Pollenpäckchen, in die sie ein Stäbchen eintauchen um es in danach an jeder einzelnen Blüte der Baumkulturen abzustreifen. Denn ohne befruchtete Blüte keine Nahrung. Die Universität in Peking hat herausgefunden, dass die Bienen im Bestäuben effizienter sind als die Menschen. Man staune…
Es gibt auch Hoffnungsvolles. Vom (ebenfalls amerikanischen) Imker, der sich auf Killerbienen spezialisiert hat, über diese Tiere mit dem grössten Respekt spricht und sie entsprechend behandelt. Und der bewundernd akzeptiert, wenn eines seiner Bienenvölker eines Morgens davon gezogen ist und sich einen Ort gesucht hat, wo kein Mensch mehr hinkommt. Oder Rührendes. Vom Ätti aus dem Berner Oberland, der seine Landbienen gerne rassenrein halten möchte und einsehen muss, dass er seine heile Bergwelt nicht vom Eindringen „fremder Fötzel“ bewahren kann. Und der die schmerzliche Erfahrung machen muss, dass er auch seine rassenreinen Bienen nicht davor schützen kann, krank zu werden.
Man sagt, dass zuerst die Bienen und dann die Menschen sterben. Das kann man wörtlich nehmen oder als Aussage zum Zustand unserer Welt. Ein eindrücklicher Film, der sehr, sehr nachdenklich stimmt.