Freitag, 15. März 2013

Interview zum Buch

Christine Fivian, Sie waren lange Jahre Chefredaktorin einer deutschschweizerischen Tageszeitung. Vor vier Jahren gingen Sie in Frühpension. War zu jenem Zeitpunkt schon klar, dass Sie einen Roman schreiben werden?

Ja und Nein. Den Vorsatz gab es nicht. Aber im Hinterkopf hatte ich schon immer die Idee, einmal auf Papier zu bringen, was mich ein Leben lang beschäftigt hat, nämlich, dass es keine endgültigen Wahrheiten gibt oder einfacher, dass jeder Mensch das Leben nur mit seinen eigenen Erfahrungen begreift und mit seinen eigenen Augen sieht. Als ich nach der Pensionierung wieder Zeit hatte zu schreiben, war es nicht mehr weit bis zum Roman.

Es ist ihr erster Roman. War das eine grosse Herausforderung?

Vielleicht war es etwas grössenwahnsinnig von mir, gleich mit einem Roman zu beginnen. Aber am Anfang war es auch nur als Projekt gedacht. Ich wollte wissen, ob sich das Thema tatsächlich in dieser Form umsetzen lässt. Mit der Zeit ist daraus die ernsthafte Ambition entstanden, den Roman so zu schreiben, dass er veröffentlicht werden könnte. Vor allem der Anfang war sehr schwer. Ich weiss nicht mehr, wie oft ich neu angefangen habe, jedes Mal wusste ich, dass es so nicht geht. Bis ich irgendwann den roten Faden gefunden habe und sich die Geschichte fast wie von selbst entwickelt hat.

Und jetzt liegt der Roman vor, eine Mischung aus Künstlerroman, Beziehungsdrama und Kriminalgeschichte. Welche Facette ist Ihnen die wichtigste?

Vordergründig ist das Buch eine Beziehungsgeschichte, die sich wie ein Krimi liest, aber doch keiner ist. Es geht mir natürlich auch um die Spannung, sie hält die Geschichte zusammen. Aber vor allem geht es mir um die Ambivalenz im Leben und in der Liebe. Oder anders gesagt, um das „Sowohl als auch“, darum, dass alles relativ ist und aus einer anderen Sicht betrachtet eben ganz anders sein kann.

Die drei Frauen, die im Mittelpunkt des Romans stehen, sind Durchschnittsfrauen, weder besonders pfiffig noch besonders erfolgreich, weder diabolisch noch kaltschnäuzig. Das ist ganz gegen den Trend, wo doch heute fast alle Romanheldinnen richtige Hexen sind. Ist das gewollt?

Ich mag diese diabolischen Weiber durchaus! Aber für meinen eigenen Roman sind mir unaufgeregte Normalverbraucherinnen näher.  Differenzierte Figuren mit Stärken und Schwächen, frei von Pauschalisierungen. Keine Superfrauen, sondern Frauen wie Du und ich. Keine Heldinnen, aber Frauen, die ihr Leben meistern so gut sie eben können. Frauen meiner Generation, die sich zwar emanzipiert haben, aber noch nicht das Selbstbewusstsein erreicht haben, das die heutigen Frauen auszeichnet.

Die Hauptprotagonistin unter den Frauen ist Alma. Gibt es dafür einen Grund?

Sie verkörpert die Frau zwischen der alten, den konservativen Mustern verpflichteten Generation, in der Mona hängen geblieben ist, und der neuen, progressiven Generation, die sich in Lisa ankündigt. Ausserdem ist sie das  Bindeglied zwischen zwei unterschiedlichen Charakteren. So gesehen ist auch sie eine Metapher für die Ambivalenz, die wir alle in uns spüren. Wir haben alle unsere verschiedenen Seiten.

Was spielt eigentlich Paul für eine Rolle, er ist im Buch ja so etwas wie das Bindeglied zwischen den drei Frauen?

Er hat das Bild gemalt, das als Metapher für die Ambivalenz dient, insofern spielt er sogar eine zentrale Rolle, genauso wie im Leben der drei Frauen. Das heisst, er spielt sozusagen die Hauptrolle im Hintergrund.

Die Männer im Buch kommen nicht alle sehr gut weg. Haben Sie das Buch vor allem aus feministischer Sicht geschrieben?

Ich bin eine Frau, insofern liegt mir die feministische Sicht naturgemäss näher. Aber das war nicht die Absicht. Mir ging es auch hier um die Ambivalenz. Um verschiedene Spielarten von möglichen Beziehungen. Um Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern. Und um die unterschiedlichen Lebensentwürfe von Frauen meiner Generation, die sich aus tradierten Mustern befreit haben, aber noch nicht ganz am Ziel angekommen sind.

Der Roman ist auch ein Stück Zeitgeschichte, nicht nur wegen der Rassismus-Thematik und der Fichenaffäre, sondern vor allem wegen Stellung der Frauen, die in Almas jungen Jahren in einem Masse diskriminiert wurden, das sich junge Leute gar nicht mehr vorstellen können.

Tatsächlich war es mir ein Anliegen aufzuzeigen, wie viel die Frauen der westlichen Gesellschaft in dieser vergleichsweise kurzen Zeit erreicht haben. Vor 68 lebten wir in einer komplett anderen Welt. Man muss sich nur an die amerikanischen Spielfilme der 50er Jahre erinnern um zu wissen, was ich meine. Aber der Fortschritt kam nicht von selber, er musste erkämpft werden. Und er muss weiterhin verteidigt werden, denn wir bewegen uns noch immer auf sehr dünnem Eis. Vor dem Gesetz sind wir zwar alle gleich, aber nach wie vor ziehen Frauen oft den Kürzeren, nicht nur, was Lohn und Karriere betrifft.

Sind feministische Anliegen überhaupt noch gerechtfertigt? Besonders bei uns im Westen sind doch die Frauen heute praktisch gleichberechtigt.

Auch wenn wir westlichen Frauen heute sehr viel mehr Rechte haben als Frauen in anderen Kulturen, so sind wir noch längst nicht da, wo wir sein müssten, nämlich bei der Gleichwertigkeit der Geschlechter in allen Bereichen. Ich bin überzeugt, je mehr diese Gleichwertigkeit in der westlichen Zivilisation zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, desto mehr hilft das auch den Frauen, wo diese nur über ihre Rolle als Tochter, Ehefrau oder Mutter definiert werden und sonst nicht existieren. Gerade die jüngeren Frauen bei uns, für die so manches selbstverständlich geworden ist, sollten sich vermehrt daran erinnern. Denn auch sie könnten ganz viele ihrer Freiheiten sehr schnell wieder verlieren, wenn sie sich dessen nicht bewusst sind.

Sie arbeiten viel mit Monologen und Dialogen, dadurch erhält die Geschichte Tempo. Kontemplative Momente gibt es so gut wie keine. War das beabsichtigt?

Ich bin keine Literatin, sondern Journalistin, das heisst, ich schreibe als Journalistin und will mich nicht mit fremden Federn schmücken. Persönlich finde ich das Kontemplative vieler deutschsprachiger Romane eher etwas ermüdend. Mir kommt dann immer das Wort „Kunstanstrengung“ in den Sinn. Mir gefallen Geschichten mit einem spannenden Plot, Geschichten die sprudeln, die eine kohärente Geschichte erzählen und die mitreissen. Ich denke, dass die angelsächsische Literatur da weniger Vorurteile kennt. Sie trennt nicht – wie das im deutschen Literaturbetrieb der Fall ist - zwischen sogenannt „ernsthafter“ und „unterhaltender“ Literatur. Was mir persönlich sehr viel mehr entspricht.

Eine renommierte Literaturkritikerin, die den Roman schon gelesen hat, bezeichnet ihr Buch als „weibliche Antwort auf Martin Suter“. Gefällt Ihnen dieser Vergleich? Und wenn ja, warum?

Träfe das zu, wäre das für mich eine grosse Auszeichnung. Suter schreibt nicht für den literarischen Olymp, sondern für seine Leserschaft. Er greift Themen auf, die uns alle betreffen, er beschreibt sie auf eine unterhaltsame, aber niemals billig anbiedernde Weise und erreicht so eine breite Leserschaft. Würde mir das gelingen, wäre ich sehr stolz darauf.