Montag, 30. Juli 2012

Was mache ich hier?

Ich lese mehr oder weniger hervorgequälte Geistesblitze, deren tieferer Sinn mir meistens verschlossen bleibt, erfahre, wem wo was gerade einfällt oder auffällt, bekomme so weltbewegende Einsichten mit wie die Tatsache, dass wir am Morgen selten ausgeschlafen sind, oder es wird mir mitgeteilt, was der oder die in exakt diesem Moment isst oder sieht oder was auch immer gerade macht. Oder ich bekomme Bilderrätsel zu lösen, wer oder was dies oder das sein könnte und fühle mich bemüssigt, darauf eine vollkommen belanglose und unnötige Antwort zu twittern. Hauptsache originell...
Nach geschätzten zwei, vielleicht drei Wochen Twitterexistenz frage ich mich: Was mache ich hier eigentlich? Statt mich mit wichtigen Dingen zu beschäftigen oder zumindest zu erledigen, was schon lange darauf wartet, getan zu werden, klicke ich mich via Tablet bei Twitter ein und folge dem digital komprimierten Mitteilungsbedürfnis meiner Mitmenschen, von denen ich die wenigsten persönlich kenne. Oder ich sitze im Tram und statt in meinem Taschenbuch zu lesen, das ich auch dabei hätte, ziehe ich das iphone aus der Tasche, befriedige meine Klatschneugierde und überlege mir dabei, welche betont originelle Banalität ich diesem Geplapper beifügen könnte, bloss, damit ich meine Follower nicht enttäusche, resp. nicht riskiere, wieder entfollowt (ha!) zu werden.
Ich gebe zu: Es zieht mich auf eine unangenehm hartnäckige Art an und stösst mich gleichzeitig ab. Was ich hier mache ist krank! Es stiehlt meine Zeit. Meistens. Und ich beschliesse auszusteigen. Dann bekomme ich einen Hinweis auf einen ganz hervorragenden Blogpost oder Artikel und denke, ohne Twitter hätte ich den nicht gelesen. Was mir den Grund liefert, doch nicht auszusteigen, obwohl ich mit dem Lesen dieser Blogs und Artikel noch mehr meiner Zeit verliere. Das ist irgendwie schizophren.
Als ich mich in dieses Minenfeld begeben habe, vor geschätzten zwei oder drei Wochen, habe ich die gleiche Frage getwittert, die ich mir jetzt stelle: Was mache ich hier? Ein Bekannter hat zurückgezwischert: „Du wirst sehen, es ist total geschwätzig, aber auch faszinierend!“ Stimmt. Es ist geschwätzig! Und es ist faszinierend! Ich liess mich reinziehen in diese „Echtzeit“-Cyberwelt, die mir die Illusion liefert, teilzunehmen, an was auch immer, die mir die Möglichkeit bietet, meine Meinung, (die sicher alle brennend interessiert), kund zu tun, die mich animiert, mich der öffentlichen Empörung anzuschliessen bei einem Thema, über das ich vorher noch nie nachgedacht hatte. Und wenn ich dann darüber nachgedacht habe, ist diese öffentliche Empörung bereits wieder vorbei, denn schon ist das nächste Thema aktuell, über das wir uns ein bisschen empören, bevor wir es wieder vergessen. Und so geht das einfach immer weiter. Was geschieht da mit mir?
Warum twittern die Menschen? Warum twittere ich? Dass meine Lieblingstwitterin, die böse, kluge, zynische Sybille Berg auf diesem Weg ihre messerscharfen Spiegel-Kolumnen oder ihre Sonntags- und andere Wochentagstexte ankündigt, begreife ich, resp. sehe darin den gewünschten Nutzen, und ich bin ihr dafür sogar dankbar, denn so kann ich sie gleich lesen, was in der Regel ein Genuss bedeutet, denn sie ist eine Meisterschützin, die fast immer mitten ins Schwarze trifft, dort, wo auch ich den wunden Punkt erkenne.
Aber ich? Ich bin weder Politikerin, noch bin ich prominent, noch habe ich ein Produkt oder eine webpage zu vermarkten, auch habe ich keine Fangemeinde, die ich befriedigen muss… noch nicht... ;)) Warum also sondere ich öffentlich Gedanken ab, die niemanden interessieren? Liegt es am Ego? Am meinem Bedürfnis, mich mitzuteilen? In Ermangelung physisch anwesender Diskussionspartner? Erspart mir die Cyberwelt die sehr viel anstrengendere Auseinandersetzung mit der Realität? Liefert mir die virtuelle Empörungsplattform die Ausrede, nicht handeln zu müssen? Die Frage zu stellen heisst gleichzeitig sie zu beantworten.

Samstag, 21. Juli 2012

Beschneidung geistiger Freiheit

Das Kölner Urteil ist zweifellos richtig, denn das Kindswohl und das Recht eines Kindes auf körperliche Unversehrtheit sollte in einer aufgeklärten, zivilisierten Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit und keine Frage mehr sein, die es zu diskutieren gilt. Für mich ist absolut klar, dass auch die Beschneidung von Knaben einer Körperverletzung gleichkommt und - wenn sie in einem religiösen Ritual nicht fachgerecht und ohne Narkose durchgeführt wird - zusätzlich eine massive Kindsmisshandlung bedeutet. Die religiöse Argumentation ist für mich - als Nicht-Religiöse - irrelevant. Aus ethischer, juristischer und medizinischer Sicht ist für mich klar: die Beschneidung gehört abgeschafft.
Trotzdem: Was mich an der Diskussion um die Beschneidung so ärgert, ist die Scheinheiligkeit, mit der sie geführt wird. Da braust eine Welle „political correctness“ heran, und im Meer der politisch korrekt Empörten lässt es sich ja bekanntlich leichter schwimmen als gegen den Strom.
Nehmen wir mal die Lautesten, die empörten Männer, die meisten von ihnen vermutlich Nichtbetroffene. Ich gehe mal davon aus, dass einigen von ihnen die Vorstellung, ihr bestes Stück könnte um etwas Haut beschnitten - und, oh Gott, womöglich verkürzt - sein, den baren Horror auslöst. Ihnen allen sei gesagt: Er wird nicht kürzer, nur schöner!
Wirklich empörend finde ich, dass diese Männer, die sich jetzt so laut zu Wort melden, die Beschneidung der Knaben mit der rituellen Beschneidung der Mädchen vergleichen. Meine Herren, das ist nicht vergleichbar. Die Beschneidung der Knaben kann aus unterschiedlichen Gründen erfolgen: aus medizinischen (Phimose), aus religiösen, aus hygienischen, sogar aus ästhetischen. Ob ein beschnittener Mann länger kann und mehr Lust empfindet, wie es auch heisst, weiss ich nicht, aber ich weiss mit Sicherheit, dass es bei Männern definitiv keine Lustverhinderung und auch keine Behinderung ist. Ganz im Gegensatz zu den Frauen: Bei ihnen ist es eine grauenvolle Verstümmelung, die in jedem einzelnen Fall lebenslanges Leiden zur Folge hat. Wer darüber mehr wissen will, dem seien Buch und Film „Die Wüstenblume“ von Waris Dirie dringend empfohlen.
Auch das Argument, das Kind müsse über seine Religionszugehörigkeit später frei entscheiden können, dient nicht als Argument. Ein beschnittener Penis hindert keinen einzigen Mann daran, im Erwachsenenalter selber zu entscheiden, ob er sich einer Religion zugehörig fühlt oder nicht. Er kann sich jederzeit davon lossagen, sie wechseln oder sich ganz von der Religion abwenden. Nicht der Pimmel hindert ihn daran, sondern etwas ganz Anderes. Und damit komme ich zu einer Form der Beschneidung, die ich als sehr viel dramatischer erachte, als die Beschneidung der jüdischen und muslimischen Knaben, nämlich die Beschneidung der geistigen Freiheit und des geistigen Horizonts  durch religiöse Indoktrination - und das geschieht nicht nur bei Muslimen und bei Juden. Und die Folgen sind um ein Vielfaches gravierender. Darüber müsste man sich empören!

Mittwoch, 11. Juli 2012

Buch oder E-book?

Schon der Titel ist bezeichnend. Es heisst nicht mehr Buch, es heisst jetzt E-book! Auf Englisch. Wer modern ist, liest elektronisch, Papier ist uncool!
Ich stehe zur "bürgerlichen Bücherwand", wie ein Zeitungsschreiber die während eines langen Lebens gekauften, gelesenen und nicht mehr hergegebenen Bücher in den eigenen vier Wänden kürzlich abschätzig genannt hat. Weiss er denn überhaupt, wovon er schreibt? Journalisten - ich bin selber eine - sind Schnellleser. Am liebsten ist ihnen die knapp zusammengefasste Meldung, allenfalls versuchen sie sich selber - mehr oder weniger geglückt - in literarischer Schreibe. Aber lesen, ich meine, mit Hingabe und mit Genuss lesen, das tun die wenigsten. Und je jünger sie werden, je weniger kennen sie das sinnliche Erlebnis, ein Buch in der Hand zu halten und neugierig darauf zu sein, was sich ihnen zwischen den beiden Buchdeckeln für eine Welt auftut. Weil es immer weniger Eltern geben wird, die ihnen dieses Erlebnis vermitteln können.
Die Aussage "Bücher sind sinnlich"  ist eine Platitüde, ich weiss. Trotzdem: Ich meine das ganz wörtlich. Bücher riechen, sie machen Geräusche, sie verändern ihr Aussehen beim Lesen, sie kriegen vielleicht Ohren, ich kann reinschreiben, ein Buchzeichen dort einlegen, wo mir eine Stelle wichtig ist, Bücher haben einen Charakter, der sich schon in der Auswahl der Schrift oder in der Gestaltung des Umschlags äussert, Bücher sind Persönlichkeiten, Zeugen, die, wenn ich sie ansehe, mich an die unendlich vielen Gedanken, Geschichten und Universen erinnern, die sie zwischen ihren Deckeln einschliessen und sich mir wieder öffnen, wenn ich die Seiten aufschlage, um vielleicht etwas nachzulesen oder zu zitieren, weil in einem Gespräch davon die Rede ist.
Natürlich kann ich  vieles auch elektronisch nachlesen. Teilweise kann ich sogar besser und gezielt danach suchen, je nachdem, worum es sich handelt. Google und Wikipedia sind wunderbare Errungenschaften. Sie ersparen mir Zeit und erleichtern mir, meine Wissen zu aktualisieren und mein Bildungsniveau einigermassen à jour zu halten. Vorausgesetzt, ich habe meinen Laptop oder mein tablet dabei. Und ich mag es auch, unterwegs mit dem iphone die neuesten News zu lesen oder via Twitter einen Gedankenblitz abzusondern. Ich bin nicht gegen die moderne Technik und weiss sie sehr wohl zu schätzen. Trotzdem:
Das tablet sei praktischer, heisst es allenthalben. Stimmt das wirklich? Ich finde nicht! Mal abgesehen davon, dass die Auswahl massiv eingeschränkt ist und ich nur aus den angebotenen Titeln wählen kann: Ist es tatsächlich praktischer, den ipad oder was auch immer, diese unbiegsame, steife und auch nicht ganz leichte Platte mitzuschleppen? Da lob ich mir das Taschenbuch, es ist auch nicht schwerer und erst noch wendiger, macht sich weniger breit und stopft schon mal eine Lücke zwischen all den anderen Dingen, die auch noch in der Tasche Platz haben wollen. Und beim Lesen kann ich das Taschenbuch in allen möglichen Sitz- oder Liegendstellungen immer noch bequem halten, während das ebook, dieses lästige, unbewegliche Ding mir keine Wahl lässt.
Man könnte zur Ehrenrettung des ebook natürlich sagen, es umfasse das ganze virtuelle Universum in seinem Gehäuse. Auch ein reizvoller Gedanke, das stimmt. Andererseits ist es ein beliebiges Universum, worin alles marginalisiert wird, und wo ein Buch eben kein Individuum mehr ist, sondern zur Massenware wird, sicher billiger, je nachdem zugänglicher und wohl auch demokratischer. Kann sein.
Sind Bücherwände deshalb elitär? Bürgerliche Statusdemonstrationen? Hoffnungslos veraltete Bildungsbürgernostalgie? Vielleicht. Trotzdem bleibe ich beim Buch, auch wenn ich damit künftig den Eindruck der kulturbeflissenen Spiesserin erwecke. Ich stehe zu meiner Bücherwand. Ich liebe meine Bücher, nicht nur an Wänden, auch auf jeder Ablage und auf dem Tisch. Und ich bin zum Glück alt genug, immer noch neugierig zwar, aber auch alt genug, um wieder auf die Seite zu legen, was ich geprüft und für mich als unbefriedigend empfunden habe.






Sonntag, 8. Juli 2012

Twittern macht Spass - mit Mass

Wer hätte das gedacht! Ich twittere und habe Spass daran. Während ich den Nutzen von Facebook noch nicht richtig erkannt habe, sehe ich im Twittern tatsächlich einen Gewinn.  Was ich nicht wusste: Redaktionen twittern ihre neuesten Artikel samt Link, den ich dann öffnen und lesen kann. Eine Selektion zwar, aber immerhin. Den Spiegel kaufe ich nicht mehr, ist mir zu dick, immer alles online durchzuchecken, ist mir zu zeitaufwändig, aber auf diese Weise komme ich wieder an den intelligenten, bitterbösen, sprachwitzigen und gnadenlos sezierenden Blog von Sybille Berg. Zum Beispiel. Oder ich kann - wenn ich will - die breaking news von CNN (ver)folgen - und wenn es mir zuviel wird, auch wieder "entfolgen". Oder ich kann mir Journalisten aussuchen, die ich schätze und deren Artikel oder auch Empfehlungen zu einem Thema, das mich interessiert, via Twitter lesen. Sollte ich das Bedrüfnis haben, ihn weiter zu empfehlen, weil ich ihn so hervorragend oder so treffend oder so wichtig finde, kann ich diesen Artikel dann an meine "Followers" - sofern ich welche habe - twittern. So funktioniert das also.
Aber es ist noch viel spannender: Vorgestern und gestern war ich sozusagen an den Klagenfurter Literturtagen dabei, ohne dass ich mir die selten wirklich fesselnden Texte der Autoren anhören musste, die sich erhoffen, von der erlauchten Jury in den literarischen Bedeutungsolymp aufgenommen zu werden - samt eternem Ruhm, versteht sich. Und das funktioniert dann so: Unter dem Namen @literaturclub hat jemand - wer das ist, weiss ich nicht, aber er ist offensichtlich ein Literaturkenner - laufend kommentiert, was gerade gelesen oder von der Jury diskutiert wurde - und zwar auf eine ausgesprochen launige und witzige Art. Das reichte von Einschätzungen zum Text, über Stellen, die der Twitterer in positivem oder negativem Sinn kommentierte, über Zitate von Jurymitgliedern während der Diskussion bis zur Beschreibung der Bluse der Frau Strigl... ;)) Richtig witzig und unterhaltend. Statt dass ich den lieben, langen Tag am Fernsehen zugeschaut - wenn ich denn gewollt  - und mich dabei mit grösster Wahrscheinlichkeit gelangweilt hätte, konnte ich über Mittag schnell das Live-Gezwitscher lesen und war auf höchst vergnügliche Weise aufdatiert, was so gelaufen ist. Toll!!!
Wie sehr man doch in seinen Vorurteilen festgefahren ist. Kürzlich hat mich eine ehemalige Kolleging besucht und mir vom Twittern geschwärmt. Ich dachte, soll sie doch, für mich ist das nichts. Was interessiert es mich, welches Mitteilungsbedürfnis Promi X oder Politikerin XY gerade so plagt. Aber mich hat dann doch der Gwunder gestochen und ich habs einfach mal ausprobiert. Ich ar ohnehin neugierig, wie es funktioniert. Vor allem, weil Twitter in den arabischen Jugendbewegungen eine so grosse Rolle spielt. Ausserdem sollte man, oder besser frau, sich sowieso für diese Dinge interessiren, wenn sie im Pensionsalter noch einigermassen à jour bleiben und nicht plötzlich den Draht zur (sogenannten, ich weiss) Welt verlieren will. Immerhin kann ich jetzt von mir behaupten zu wissen, wovon ich rede. Im Gegensatz zu den meisten, die über Twitter lästern.
Zufälligerweise war dann am folgenden Sonntag ein Interview mit Sherry Turkle, Professorin am MIT und "Cyber-Diva" im Tagi-Magazin. Sie warnt - zu Recht - vor der Vereinsamung und vor der Verdummung durch Social Media. Tatsächlich sind wir dabei, den direkten Zugang zu unseren Mitmenschen zu verlieren. Und da denke ich eben nicht nur an die Kinder, die nur noch via iphone kommunizieren, sondern noch viel mehr an die Erwachsenen, die sich in der individualisierten Gesellschaft nur noch um sich selbst kümmern (mich nicht ausgenommen). Wir sind von den rasend schnell sich erneuernden und weltweit verbreitenden Möglichkeiten, die sich uns bieten, überrollt worden und haben nicht mit der gleichen Geschwindigkeit gelernt, damit umzugehen. Es gibt immer mehr und immer Neues - und tatsächlich auch Spannendes - zu entdecken, aber wir geraten so immer mehr in Zeitnot, die uns davon abhält, das reale Leben zu leben oder zu tun, was wir eigentlich tun wollten oder tun sollten (so, wie ich jetzt, ich sollte an meinem Buch weiterschreiben...).
Ich weiss nicht, ob wir, d.h. unsere Generation die überforderte ist oder die unserer Kinder und Enkel. Ich weiss nur, dass wir wieder lernen müssen, uns auf die wichtigen Dinge zu fokussieren. Und das bedeutet, eine Auswahl zu treffen. Gerade das fällt schwer bei der unendlichen Angebotsvielfalt. Ich weiss aber auch: Rückzug ist nicht die Lösung. Ich für mich habe es, so glaube ich wenigstens, einigermassen im Griff. Ich beschränke mich auf die Dinge, die mir wichtig sind, meistens jedenfalls, und bleibe trotzdem offen für Neues. Aber ich bin in einem Alter, in dem ich es mir leisten kann. Das Gestalten der Zukunft muss ich den Jungen überlassen. Und das ist gut so.