Sonntag, 13. Dezember 2009

Wir, die SVP, sind das "Volk"!

Die Diskussion um das Minarettverbot hört nicht auf - Gott oder Allah oder Jehovah oder Buddha oder Shiva oder wem auch immer sei Dank.
In den Medien machen sich viele gescheite Leute gescheite Gedanken: Der Rechtsprofessor Peter Nobel sorgt sich (zu Recht) um den Rechtsstaat; "NZZ am Sonntag"-Chefredaktor Felix E. Müller beschreibt, wie die Schweiz immer mehr von einer Sachdemokratie zu einer Sündenbockdemokratie wird; im Satz "Der Souverän bestimmt die Gesetze - aber nicht die Wahrheit" bringt Kommentator Daniel Binswanger eine weitere Erkenntnis auf den Punkt; der Historiker Urs Altermatt verleiht der Schweiz (wohl nicht zu Unrecht) die negative Vorreiterrolle eines Kulturkampfes, der auf Europa zukommt; der deutsch-iranische Schriftsteller und Islamwissenschafter Navid Kermani sieht die Grundrechte zur Disposition gestellt und den gesellschaftlichen Wertekonsens in Gefahr, während Manfred Papst nach dem "rabenschwarzen Bild" der Schweiz kurz nach der Abstimmung nun im Ausland eine "erstaunlich differenzierte Debatte" feststellt.
Hierzulande kreuzen derweil Gegner und Befürworter die Klingen: Im Fernsehen verkommt das Thema einmal mehr zum Hahnen-Schaukampf; zu meinem Ärger auf allen Kanälen dabei der schmallippig grinsende Roger Köppel, der sich in der Provokation gefällt, auch wenn er dabei die Demokratie auf den Kopf stellen, unwidersprochen absolute Ungeheuerlichkeiten von sich geben und allen das Wort im Munde verdrehen darf und ein Beispiel dafür liefert, wie Intellektuelle seines Zuschnitts es geniessen, ihre rhetorisch weniger beschlagenen Gesprächspartner vorzuführen. Ein gefährliches Spiel. Weil es nur dem eigenen Machtempfinden und nicht der Sache dient. Und weil die meisten Menschen nicht zynisch genug sind, es zu durchschauen.
Die Arroganz der Sieger spricht auch aus vielen Voten der SVP-Oberen, die "im Namen des Volkes" jeden und jede diffamieren, die sich jetzt (leider erst nach der Abstimmung) aufgeschreckt Gedanken darüber machen, wie Demokratie und Rechtstaatlichkeit wieder ins Gleichgewicht gebracht werden könnten. Wann wird aus der Diffamierung ernst gemeinter Meinungsterror?
Clever und schnell ist sie ja, die SVP, das muss man ihr lassen. Damit die Suppe am Köcheln bleibt, will sie als nächstes einen Vorstoss machen, der verlangt, dass Initiativen immer vors Volk gebracht werden müssen - auch wenn sie einer völkerrechtlichen Prüfung nicht standhalten und letztlich nicht voll umsetzbar sind. Damit überholt die SVP schon wieder alle andern Parteien. Diese werweissen immer noch ganz zerknirscht, ob es nicht doch vielleicht möglicherweise allenfalls gar besser wäre, wenn künftig ein unabhängiges Rechtsgremium jede Initiative auf ihre Umsetzbarkeit prüfen müsste, bevor darüber abgestimmt werden kann.
Für die anderen Parteien wäre jetzt der Moment da, laut und dezidiert eine Grundsatzdebatte über Demokratie und Rechtsstaat anzustossen und mit einer klaren Gegenposition zur SVP ihr eigenes Profil zu schärfen. Doch wo sind sie? Wo bleiben die Vertreter des "Volkes", zu dem ich mich zählen könnte? In Deckung! Es ist ihnen wohl zu heiss, ein Thema aufzugreifen, das beim SVP-"Volk" womöglich nicht ankommen könnte.
Seit der letzten Abstimmung kann ich mir vorstellen, dass auch die neuste SVP-Idee Erfolg hat. Und meine Befürchtung steigt, dass die SVP ihr angestrebtes Ziel tatsächlich erreicht, dem sie schamlos alles unterordnet: 40 bis 50 Prozent Wähleranteil. Wir die SVP sind das "Volk"! Nicht auszudenken, was danach mit der Schweiz passiert.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen