Mittwoch, 11. Juli 2012

Buch oder E-book?

Schon der Titel ist bezeichnend. Es heisst nicht mehr Buch, es heisst jetzt E-book! Auf Englisch. Wer modern ist, liest elektronisch, Papier ist uncool!
Ich stehe zur "bürgerlichen Bücherwand", wie ein Zeitungsschreiber die während eines langen Lebens gekauften, gelesenen und nicht mehr hergegebenen Bücher in den eigenen vier Wänden kürzlich abschätzig genannt hat. Weiss er denn überhaupt, wovon er schreibt? Journalisten - ich bin selber eine - sind Schnellleser. Am liebsten ist ihnen die knapp zusammengefasste Meldung, allenfalls versuchen sie sich selber - mehr oder weniger geglückt - in literarischer Schreibe. Aber lesen, ich meine, mit Hingabe und mit Genuss lesen, das tun die wenigsten. Und je jünger sie werden, je weniger kennen sie das sinnliche Erlebnis, ein Buch in der Hand zu halten und neugierig darauf zu sein, was sich ihnen zwischen den beiden Buchdeckeln für eine Welt auftut. Weil es immer weniger Eltern geben wird, die ihnen dieses Erlebnis vermitteln können.
Die Aussage "Bücher sind sinnlich"  ist eine Platitüde, ich weiss. Trotzdem: Ich meine das ganz wörtlich. Bücher riechen, sie machen Geräusche, sie verändern ihr Aussehen beim Lesen, sie kriegen vielleicht Ohren, ich kann reinschreiben, ein Buchzeichen dort einlegen, wo mir eine Stelle wichtig ist, Bücher haben einen Charakter, der sich schon in der Auswahl der Schrift oder in der Gestaltung des Umschlags äussert, Bücher sind Persönlichkeiten, Zeugen, die, wenn ich sie ansehe, mich an die unendlich vielen Gedanken, Geschichten und Universen erinnern, die sie zwischen ihren Deckeln einschliessen und sich mir wieder öffnen, wenn ich die Seiten aufschlage, um vielleicht etwas nachzulesen oder zu zitieren, weil in einem Gespräch davon die Rede ist.
Natürlich kann ich  vieles auch elektronisch nachlesen. Teilweise kann ich sogar besser und gezielt danach suchen, je nachdem, worum es sich handelt. Google und Wikipedia sind wunderbare Errungenschaften. Sie ersparen mir Zeit und erleichtern mir, meine Wissen zu aktualisieren und mein Bildungsniveau einigermassen à jour zu halten. Vorausgesetzt, ich habe meinen Laptop oder mein tablet dabei. Und ich mag es auch, unterwegs mit dem iphone die neuesten News zu lesen oder via Twitter einen Gedankenblitz abzusondern. Ich bin nicht gegen die moderne Technik und weiss sie sehr wohl zu schätzen. Trotzdem:
Das tablet sei praktischer, heisst es allenthalben. Stimmt das wirklich? Ich finde nicht! Mal abgesehen davon, dass die Auswahl massiv eingeschränkt ist und ich nur aus den angebotenen Titeln wählen kann: Ist es tatsächlich praktischer, den ipad oder was auch immer, diese unbiegsame, steife und auch nicht ganz leichte Platte mitzuschleppen? Da lob ich mir das Taschenbuch, es ist auch nicht schwerer und erst noch wendiger, macht sich weniger breit und stopft schon mal eine Lücke zwischen all den anderen Dingen, die auch noch in der Tasche Platz haben wollen. Und beim Lesen kann ich das Taschenbuch in allen möglichen Sitz- oder Liegendstellungen immer noch bequem halten, während das ebook, dieses lästige, unbewegliche Ding mir keine Wahl lässt.
Man könnte zur Ehrenrettung des ebook natürlich sagen, es umfasse das ganze virtuelle Universum in seinem Gehäuse. Auch ein reizvoller Gedanke, das stimmt. Andererseits ist es ein beliebiges Universum, worin alles marginalisiert wird, und wo ein Buch eben kein Individuum mehr ist, sondern zur Massenware wird, sicher billiger, je nachdem zugänglicher und wohl auch demokratischer. Kann sein.
Sind Bücherwände deshalb elitär? Bürgerliche Statusdemonstrationen? Hoffnungslos veraltete Bildungsbürgernostalgie? Vielleicht. Trotzdem bleibe ich beim Buch, auch wenn ich damit künftig den Eindruck der kulturbeflissenen Spiesserin erwecke. Ich stehe zu meiner Bücherwand. Ich liebe meine Bücher, nicht nur an Wänden, auch auf jeder Ablage und auf dem Tisch. Und ich bin zum Glück alt genug, immer noch neugierig zwar, aber auch alt genug, um wieder auf die Seite zu legen, was ich geprüft und für mich als unbefriedigend empfunden habe.






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