Samstag, 21. Juli 2012

Beschneidung geistiger Freiheit

Das Kölner Urteil ist zweifellos richtig, denn das Kindswohl und das Recht eines Kindes auf körperliche Unversehrtheit sollte in einer aufgeklärten, zivilisierten Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit und keine Frage mehr sein, die es zu diskutieren gilt. Für mich ist absolut klar, dass auch die Beschneidung von Knaben einer Körperverletzung gleichkommt und - wenn sie in einem religiösen Ritual nicht fachgerecht und ohne Narkose durchgeführt wird - zusätzlich eine massive Kindsmisshandlung bedeutet. Die religiöse Argumentation ist für mich - als Nicht-Religiöse - irrelevant. Aus ethischer, juristischer und medizinischer Sicht ist für mich klar: die Beschneidung gehört abgeschafft.
Trotzdem: Was mich an der Diskussion um die Beschneidung so ärgert, ist die Scheinheiligkeit, mit der sie geführt wird. Da braust eine Welle „political correctness“ heran, und im Meer der politisch korrekt Empörten lässt es sich ja bekanntlich leichter schwimmen als gegen den Strom.
Nehmen wir mal die Lautesten, die empörten Männer, die meisten von ihnen vermutlich Nichtbetroffene. Ich gehe mal davon aus, dass einigen von ihnen die Vorstellung, ihr bestes Stück könnte um etwas Haut beschnitten - und, oh Gott, womöglich verkürzt - sein, den baren Horror auslöst. Ihnen allen sei gesagt: Er wird nicht kürzer, nur schöner!
Wirklich empörend finde ich, dass diese Männer, die sich jetzt so laut zu Wort melden, die Beschneidung der Knaben mit der rituellen Beschneidung der Mädchen vergleichen. Meine Herren, das ist nicht vergleichbar. Die Beschneidung der Knaben kann aus unterschiedlichen Gründen erfolgen: aus medizinischen (Phimose), aus religiösen, aus hygienischen, sogar aus ästhetischen. Ob ein beschnittener Mann länger kann und mehr Lust empfindet, wie es auch heisst, weiss ich nicht, aber ich weiss mit Sicherheit, dass es bei Männern definitiv keine Lustverhinderung und auch keine Behinderung ist. Ganz im Gegensatz zu den Frauen: Bei ihnen ist es eine grauenvolle Verstümmelung, die in jedem einzelnen Fall lebenslanges Leiden zur Folge hat. Wer darüber mehr wissen will, dem seien Buch und Film „Die Wüstenblume“ von Waris Dirie dringend empfohlen.
Auch das Argument, das Kind müsse über seine Religionszugehörigkeit später frei entscheiden können, dient nicht als Argument. Ein beschnittener Penis hindert keinen einzigen Mann daran, im Erwachsenenalter selber zu entscheiden, ob er sich einer Religion zugehörig fühlt oder nicht. Er kann sich jederzeit davon lossagen, sie wechseln oder sich ganz von der Religion abwenden. Nicht der Pimmel hindert ihn daran, sondern etwas ganz Anderes. Und damit komme ich zu einer Form der Beschneidung, die ich als sehr viel dramatischer erachte, als die Beschneidung der jüdischen und muslimischen Knaben, nämlich die Beschneidung der geistigen Freiheit und des geistigen Horizonts  durch religiöse Indoktrination - und das geschieht nicht nur bei Muslimen und bei Juden. Und die Folgen sind um ein Vielfaches gravierender. Darüber müsste man sich empören!

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