Ja und Nein. Den Vorsatz
gab es nicht. Aber im Hinterkopf hatte ich schon immer die Idee, einmal auf
Papier zu bringen, was mich ein Leben lang beschäftigt hat, nämlich, dass es
keine endgültigen Wahrheiten gibt oder einfacher, dass jeder Mensch das Leben
nur mit seinen eigenen Erfahrungen begreift und mit seinen eigenen Augen sieht.
Als ich nach der Pensionierung wieder Zeit hatte zu schreiben, war es nicht
mehr weit bis zum Roman.
Es ist ihr erster Roman. War das eine grosse Herausforderung?
Vielleicht war es etwas
grössenwahnsinnig von mir, gleich mit einem Roman zu beginnen. Aber am Anfang
war es auch nur als Projekt gedacht. Ich wollte wissen, ob sich das Thema
tatsächlich in dieser Form umsetzen lässt. Mit der Zeit ist daraus die
ernsthafte Ambition entstanden, den Roman so zu schreiben, dass er
veröffentlicht werden könnte. Vor allem der Anfang war sehr schwer. Ich weiss
nicht mehr, wie oft ich neu angefangen habe, jedes Mal wusste ich, dass es so
nicht geht. Bis ich irgendwann den roten Faden gefunden habe und sich die
Geschichte fast wie von selbst entwickelt hat.
Und jetzt liegt der Roman vor, eine Mischung aus Künstlerroman, Beziehungsdrama
und Kriminalgeschichte. Welche Facette ist Ihnen die wichtigste?
Vordergründig ist das
Buch eine Beziehungsgeschichte, die sich wie ein Krimi liest, aber doch keiner
ist. Es geht mir natürlich auch um die Spannung, sie hält die Geschichte zusammen.
Aber vor allem geht es mir um die Ambivalenz im Leben und in der Liebe. Oder
anders gesagt, um das „Sowohl als auch“, darum, dass alles relativ ist und aus
einer anderen Sicht betrachtet eben ganz anders sein kann.
Die drei Frauen, die im Mittelpunkt des Romans stehen, sind
Durchschnittsfrauen, weder besonders pfiffig noch besonders erfolgreich, weder
diabolisch noch kaltschnäuzig. Das ist ganz gegen den Trend, wo doch heute fast
alle Romanheldinnen richtige Hexen sind. Ist das gewollt?
Ich mag diese
diabolischen Weiber durchaus! Aber für meinen eigenen Roman sind mir
unaufgeregte Normalverbraucherinnen näher.
Differenzierte Figuren mit Stärken und Schwächen, frei von
Pauschalisierungen. Keine Superfrauen, sondern Frauen wie Du und ich. Keine
Heldinnen, aber Frauen, die ihr Leben meistern so gut sie eben können. Frauen
meiner Generation, die sich zwar emanzipiert haben, aber noch nicht das
Selbstbewusstsein erreicht haben, das die heutigen Frauen auszeichnet.
Die Hauptprotagonistin unter den Frauen ist Alma. Gibt es dafür einen Grund?
Sie verkörpert die Frau
zwischen der alten, den konservativen Mustern verpflichteten Generation, in der
Mona hängen geblieben ist, und der neuen, progressiven Generation, die sich in
Lisa ankündigt. Ausserdem ist sie das
Bindeglied zwischen zwei unterschiedlichen Charakteren. So gesehen ist
auch sie eine Metapher für die Ambivalenz, die wir alle in uns spüren. Wir
haben alle unsere verschiedenen Seiten.
Was spielt eigentlich Paul für eine Rolle, er ist im Buch ja so etwas wie das
Bindeglied zwischen den drei Frauen?
Er hat das Bild gemalt,
das als Metapher für die Ambivalenz dient, insofern spielt er sogar eine
zentrale Rolle, genauso wie im Leben der drei Frauen. Das heisst, er spielt
sozusagen die Hauptrolle im Hintergrund.
Die Männer im Buch kommen nicht alle sehr gut weg. Haben Sie das Buch vor allem
aus feministischer Sicht geschrieben?
Ich bin eine Frau,
insofern liegt mir die feministische Sicht naturgemäss näher. Aber das war
nicht die Absicht. Mir ging es auch hier um die Ambivalenz. Um verschiedene
Spielarten von möglichen Beziehungen. Um Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern. Und um die unterschiedlichen
Lebensentwürfe von Frauen meiner Generation, die sich aus tradierten Mustern
befreit haben, aber noch nicht ganz am Ziel angekommen sind.
Der Roman ist auch ein Stück Zeitgeschichte, nicht nur wegen der
Rassismus-Thematik und der Fichenaffäre, sondern vor allem wegen Stellung der
Frauen, die in Almas jungen Jahren in einem Masse diskriminiert wurden, das
sich junge Leute gar nicht mehr vorstellen können.
Tatsächlich war es mir
ein Anliegen aufzuzeigen, wie viel die Frauen der westlichen Gesellschaft in
dieser vergleichsweise kurzen Zeit erreicht haben. Vor 68 lebten wir in einer
komplett anderen Welt. Man muss sich nur an die amerikanischen Spielfilme der
50er Jahre erinnern um zu wissen, was ich meine. Aber der Fortschritt kam nicht
von selber, er musste erkämpft werden. Und er muss weiterhin verteidigt werden,
denn wir bewegen uns noch immer auf sehr dünnem Eis. Vor dem Gesetz sind wir
zwar alle gleich, aber nach wie vor ziehen Frauen oft den Kürzeren, nicht nur,
was Lohn und Karriere betrifft.
Sind feministische Anliegen überhaupt noch gerechtfertigt? Besonders bei uns im
Westen sind doch die Frauen heute praktisch gleichberechtigt.
Auch wenn wir westlichen
Frauen heute sehr viel mehr Rechte haben als Frauen in anderen Kulturen, so
sind wir noch längst nicht da, wo wir sein müssten, nämlich bei der
Gleichwertigkeit der Geschlechter in allen Bereichen. Ich bin überzeugt, je
mehr diese Gleichwertigkeit in der westlichen Zivilisation zu einer Selbstverständlichkeit
geworden ist, desto mehr hilft das auch den Frauen, wo diese nur über ihre
Rolle als Tochter, Ehefrau oder Mutter definiert werden und sonst nicht
existieren. Gerade die jüngeren Frauen bei uns, für die so manches
selbstverständlich geworden ist, sollten sich vermehrt daran erinnern. Denn
auch sie könnten ganz viele ihrer Freiheiten sehr schnell wieder verlieren,
wenn sie sich dessen nicht bewusst sind.
Sie arbeiten viel mit Monologen und Dialogen, dadurch erhält die Geschichte
Tempo. Kontemplative Momente gibt es so gut wie keine. War das beabsichtigt?
Ich bin keine Literatin,
sondern Journalistin, das heisst, ich schreibe als Journalistin und will mich
nicht mit fremden Federn schmücken. Persönlich finde ich das Kontemplative
vieler deutschsprachiger Romane eher etwas ermüdend. Mir kommt dann immer das
Wort „Kunstanstrengung“ in den Sinn. Mir gefallen Geschichten mit einem
spannenden Plot, Geschichten die sprudeln, die eine kohärente Geschichte
erzählen und die mitreissen. Ich denke, dass die angelsächsische Literatur da
weniger Vorurteile kennt. Sie trennt nicht – wie das im deutschen
Literaturbetrieb der Fall ist - zwischen sogenannt „ernsthafter“ und
„unterhaltender“ Literatur. Was mir persönlich sehr viel mehr entspricht.
Eine renommierte Literaturkritikerin, die den Roman schon gelesen hat,
bezeichnet ihr Buch als „weibliche Antwort auf Martin Suter“. Gefällt Ihnen
dieser Vergleich? Und wenn ja, warum?
Träfe das zu, wäre das
für mich eine grosse Auszeichnung. Suter schreibt nicht für den literarischen
Olymp, sondern für seine Leserschaft. Er greift Themen auf, die uns alle
betreffen, er beschreibt sie auf eine unterhaltsame, aber niemals billig
anbiedernde Weise und erreicht so eine breite Leserschaft. Würde mir das
gelingen, wäre ich sehr stolz darauf.
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