Donnerstag, 11. Juli 2013

Scharia und Demokratie schliessen sich aus

Ich freue mich mit der wachsenden Hälfte der ägyptischen Bevölkerung, die mit ihrem Protest erreicht hat, dass Mursi abgesetzt wurde. Als Frau bin ich sowieso und als Aegypterin wäre ich ebenfalls ohne jeden Zweifel auf deren Seite und verstünde nicht, weshalb im Westen überhaupt die Frage aufkam, es könnte sich um einen Putsch handeln. Das Militär hat sich auf diejenige Seite des Volkes gestellt, welche die Demokratie will. So lange das Militär die Macht nicht für sich in Anspruch nimmt und weiterhin die Demokratiebewegung unterstützt - und danach sieht es aus - so lange war das kein Putsch, sondern ein demokratisch legitimierter Umsturz.
Ein Bekannter von mir ist – säkularer - Aegypter. Er telefoniert täglich mit seinen Leuten in Aegypten. Sie sagen alle das Gleiche: Die Funktionäre der Muslimbrüder seien - was man hier viel zu wenig wisse - unendlich reich und stockkorrupt, darin stünden sie dem alten Regime in nichts nach. Wie weit das stimmt, kann ich nicht beurteilen. Aber offensichtlich ist auch bei uns die Tatsache, dass in dem Jahr ihrer Regentschaft so ziemlich alles den Bach hinunter gegangen ist. Deshalb ist mein Bekannter so enttäuscht, wie hier im Westen von gewissen Kommentatoren die Moralkeule geschwungen und in gewissen Medien nur diese legalistische Sichtweise verbreitet wird.
Die Muslimbrüderschaft hat sich als unfähig zum demokratischen Kompromiss erwiesen und als unfähig, das Land in die Zukunft zu führen. Damit hat sie sich selber desavouiert. Jetzt auf dem Argument zu beharren, ein demokratisch gewählter Präsident sei illegal per Putsch gestürzt worden, ist nicht nur arrogant, sondern auch scheinheilig. Wer verfolgt hat, wie sich die Muslimbrüderschaft sukzessive alle Machtpositionen gesichert hat, wie sie mit der undemokratisch zustande gekommenen Verfassung die Scharia einführen wollte, ein religiöses Gesetz, dem sich alle zu unterwerfen gehabt hätten, also auch die Kopten und die säkularen Aegypter, für den ist es keine Frage, dass es richtig war, diese Entwicklung noch rechtzeitig zu stoppen. 
Am Abend des Umsturzes wurde bei CNN eine amerikanische Politologie-Professorin einer New Yorker Universität interviewt. Sie sprach perfekt Amerikanisch, trug aber ein Kopftuch und erklärte mit grimmiger Miene, - sinngemäss zitiert - es handle sich um einen illegalen Militärputsch. Ich traute meinen Ohren nicht. Aegypten befindet sich in einer völlig desolaten Situation, die Menschen sehen keine Zukunft mehr, 22 Millionen Menschen sprechen sich für die Absetzung Mursis aus, Hunterttausende gehen dafür auf die Strasse, auf der andern Seite stehen die Anhänger der Muslimbrüderschaft, entschlossen, die gewonnene Macht ihrer Führer zu verteidigen. Eine Pattsituation. Mit andern Worten: Stillstand. Darin die Gefahr eines Bürgerkriegs. In dieser Situation ging es doch bloss noch darum, auf welche Seite sich die Armee schlagen würde. So oder so musste sie sich entscheiden. Und sie hat sich gegen eine Diktatur der Scharia und für jenen - immer grösser werdenden - Teil der Bevölkerung entschieden, der sich die Demokratie wünscht.
In den USA wird jetzt rechtlich abgeklärt, ob es sich um einen Militärputsch oder einen Umsturz gehandelt hat, und gewisse Politiker wollen die Gelegenheit nutzen, den Geldhahn Richtung Aegypten ganz abzudrehen. Für mich unverständlich. Es sei denn, die amerikanische Politik ist an der Herrschaft der Muslimbrüderschaft interessiert. Es geht ja in der Politik vor allem um Eigeninteressen und Einfluss, selten um das Gesamtwohl der Völker.
Ich bin weder Politik- noch Nahost-Expertin, ich kenne die Rolle der Muslimbrüderschaft im heiklen Umfeld des Nahen Ostens nicht. Wenn ich hier Stellung beziehe, dann aus der Überzeugung, dass alle Menschen das Recht auf Freiheit in einer demokratisch organisierten Gesellschaft haben. Und aus dieser Sicht war es richtig, Mursi abzusetzen. Obwohl er demokratisch gewählt wurde, von 52 Prozent, das heisst von der grösseren Hälfte der Bevölkerung. Aber das Vertrauen der andern Hälfte besass er nie wirklich, und den Kredit, den sie ihm trotzdem gab, hat er in kurzer Zeit verwirkt. Sogar das Vertrauen eines Teils derjenigen, die ihn gewählt haben. Tatsache ist: Das Kräfteverhältnis hat sich immer mehr zugunsten der Mursigegner verschoben. Denn eine demokratisch erfolgte Wahl ist noch lange kein Freischein, der es dem Präsidenten erlaubt, danach alle demokratischen Grundsätze zu missachten mit dem Ziel, die Scharia als Staatsdoktrin einzusetzen und dabei den Willen der Andersdenkenden zu ignorieren. Auf diesem Weg war Aegypten. Das hat jetzt das Volk mit Unterstützung des Militärs vorerst einmal verhindert.
Wie es weitergehen wird, ist offen. Das ist mir bewusst. Aber ich wünschte mir, dass der Westen nicht einfach abwartet, wie es ausgehen wird, um sich dann auf die Gewinnerseite zu schlagen, sondern dass er die Demokratiebewegung aktiv unterstützt, indem er ihre offiziellen Vertreter anerkennt.
Fest steht: Die ägyptische Revolution ist in eine nächste Runde gegangen. Revolutionen waren noch nie ein Spaziergang. Und die Zeit danach ist immer fragil, die Gefahr eines Rückschlags allgegenwärtig. Dass die Muslimbrüderschaft und ihre Anhänger keine Kompromisse eingehen wollen und wohl auch nicht werden, ist nicht erstaunlich. Sie haben die Demokratie nicht begriffen, auch wenn sie sich jetzt auf die demokratische Wahl Mursis berufen. Denn nach dem Gesetz der Scharia hat der Mensch diese kritiklos zu akzeptieren. Das heisst nichts anderes, als dass Demokratie und Scharia sich gegenseitig ausschliessen.
Die Situation bleibt brandgefährlich. Auch weil noch nicht klar ist, was die ideologisch noch viel gefährlicheren Salafisten anrichten werden. Mein Bekannter sagt, dass sich trotzdem ein neuer Optimismus breit macht. Weil Armee und Polizei auf der Seite der Demokratiebewegung stehen. Das ist zumindest ein gutes Zeichen.
Wie schnell jetzt mit den Erfahrungen aus dem alten korrupten System und den Lehren aus der gescheiterten Herrschaft der Muslimbrüderschaft eine neue, demokratische Gesellschaft aufgebaut werden kann, ist völlig offen. Aber der Wille der jungen ägyptischen Bevölkerung ist eindeutig. Sie hat die Freiheit gekostet. Und sie hat erfahren, dass der Mehrheitswille eines Volkes durchgesetzt werden kann. Diese Erfahrung ist auf lange Sicht entscheidend.

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