Sonntag, 12. August 2012

Oute mich als hoffnungslos bieder!

In Woody Allens neuem Film „To Rome with Love“ gibt es die herrliche Geschichte vom biederen Buchhalter, der plötzlich berühmt ist, weil die Medien ihn ohne jeden Grund dazu machen. Berühmt sein, einfach, weil man es ist.
Das ist in meinen Augen die Streetparade. Ein „Event“ (welch Zauberwort), der eine Million Menschen anlockt, einfach, weil alle finden, dass dies eine supermegatollenichtzuverpassende Party ist. Ganz klar. Ich bin zu alt, um das beurteilen zu können. Auch wenn ich leidenschaftlich gerne - und jawoll - auch sehr gut tanze… auch den Rave. Und obwohl ich ein ausgezeichnetes Musikgehör und - jawoll - auch den Rhythmus im Blut habe.
Oder vielleicht gerade deshalb?
Ich gebe zu: Ich bin geflüchtet, weil ich viel zu laut dröhnende Bässe nicht mag. Und weil ich supermegatollenichtzuverpassende Anlässe überhaupt nicht mag. Also bin ich nach Bern geflüchtet. In die Altstadt, meine alte Heimat. Wo ein anderer supermegatollernichtzuverpassender Anlass die Menschen anlockte. Allerdings nicht in Zürcherischen Dimensionen.
Wie das halt so geht. Jeder sieht seine Vorurteile bestätigt. Beim Einsteigen in den Zug kam mir eine Gruppe bereits total besoffener Männer johlend und gröhlend entgegen. Mit zwei nicht eben vorteilhaft aufgemotzten jungen Mädchen, die auch schon so Einiges intus hatten. Der Wagen roch nach Bier. Schon am Nachmittag..
Quelle différence in Bern! Mal abgesehen vom hässlichsten Bahnhof der Welt, den ich immer so schnell wie möglich wieder hinter mir lasse, war der Weg in die untere Altstadt so etwas wie ein befreites Aufatmen. Die Menschen sassen oder flanierten in den Gassen,  Menschen jeden Alters, bunt gemischt, alte Damen, fröhliche Kinder, viele schöne junge Mädchen, sexy, aber nicht aufreizend gekleidet, kaum oder gar nicht geschminkt. Stark! Strassen-MusikerInnen, KomödiantInnen, GauklerInnen, AkrobatInnen aus aller Welt richteten sich ein für den Start am 3. Tag des Buskerfestivals, das um 18 Uhr begann und auf den verschiedenen in der ganzen Altstadt verteilten Bühnen bis in die Nacht dauerte. Die Leute haben auch getanzt. Und zugehört. Und sich gefreut. Das Gebotene war vielfältig, teilweise musikalisch hervorragend, witzig, schräg, farbig. Besoffene habe ich keine gesehen. Den ganzen Abend nicht. Erst im Bahnhof wieder die üblichen Alkis.
Im Zug klagte die Schaffnerin über stinkende und verdreckte Abteile (wer bezahlt das eigentlich). Als ich in Zürich ausstieg, sassen und lagen auf dem Perron total erschöpfte, abgelöschte, junge Menschen, viele davon offensichtlich besoffen oder zugedröhnt. Im Gedränge in der Halle knallte eine Petarde, danach ein Gegröhle, das erste Abteil in der S-Bahn war vollgekotzt, am Stadelhofen musste ich mich durch die Einsteigenden aus dem Zug boxen, der Boden klebte, alles war ziemlich gruusig, rund um den Stadelhofen und bei der Tramstation bedeckten fallen gelassenes Papier, halb gegessene Pizzas Becher usw. den Boden... Ich war wieder in Zürich!
Im Tagi hat ein Journalist geschrieben, die Streetparade sei ein Sieg der Eventstadt über das biedere Zürich. Ich oute mich deshalb als hoffnungslos bieder. Auch wenn ich finde, eigentlich sei diese Party total bieder.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen